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Swetlanas Botschaft
Der mit allem Raffinement hochgepeitschte Reklamerummel um die Lebenserinnerungen der Stalintochter stand in den USA und in Deutschland von Anfang an unter dem Unstern brutalen Kommerzdenkens. Der Empfang, der dieser Frau in den Gefilden der Demokratie bereitet wurde, in deren schützender Umarmung sie sich zu bergen hoffte, war dementsprechend. Daß Swet-lana die höllische Kraftprobe der Publicityattacken mit dem Trommelfeuer ahuman indiskreter Suggestivfragen, daß sie die kaltschnäuzige Präsentation auf goldenen Parketts anscheinend ohne einen psychischen Zusammenbruch überstand, ist wohl ihrem Nerventraining in einer anderen Hölle unserer Epoche, in jener des Stalinismus, benannt nach ihrem leiblichen Vater, zu verdanken. Dies alles gehört zur ersten Phase des Geschehens, die mit Swetlanas Flucht aus der UdSSR begann und in den gegenwärtigen Tagen mit der Übergabe ihrer Memoiren an die Öffentlichkeit den bisherigen Höhepunkt und Abschluß fand.
Die zweite Phase des Geschehens liegt im Ergebnis der Konfrontation mehr oder minder objektiver westlicher Rezensenten und der westlichen Leserschaft überhaupt mit dem Lebensbericht Swetlanas. Hier nun ist die erste Chance des Westens, sich nach der schändlichen Introduktion dieser Frau und der kommunistischen Welt gegenüber zu rehabilitieren. Wir zweifeln nicht daran, daß die Rehabilitierung sich im Gesamtüberblick über die zweite • Phase ergeben wird. Die Tausenden von Auseinandersetzungen mit dem Buch, die soeben in vielen Ländern kompiliert werden, und die zu erwartende Flut von Leserbriefen werden überzeugend darlegen, was in den jüngsten Wochen und Monaten fast total vergessen war: Daß mit Swetlana nicht eine abstrakte politische Attraktion, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, eine für ihre Generation typische russische Frau eine späte Reise mit dem Ziel antrat, ein Minimum an Lebenserfüllung zu suchen. Ein Mensch zudem, der sich durch die Redlichkeit seiner Niederschrift von vornherein das Recht erwirkt hat, unbehelligt unsere Gastfreundschaft zu genießen. Verwirklicht sich dieser Anspruch, sind in Swetlana der Wille und die Kraft stark genug in die Stille eines forthin anonymen Daseins einzutreten, dann tritt die dritte, die entscheidende Phase des Geschehens ein. Dann wird es sich erweisen, ob sie als Frau von durchschnittlichen Geistes- und Wesenszügen, die sie ist, in relativ neu-
traler Umwelt, abgeschnitten von der Matrix, die ihre Kindheit, Jugend und Reifejahre formte, zu bestehen vermag.
Dokument ohne Pose
Sieht man von der Tatsache ab, daß Swetlana Stalins Tochter ist,
daß sie unter dem postumen Druck seiner Persönilichkeit die Flucht aus der Heimat wagte, ist an ihr nichts Außergewöhnliches. Von keiner sonderlichen intellektuellen oder künstlerischen Begabung gezeichnet, hat sie, von ihrer Personalität her gesehen, ein Leben kleinen Formats hinter und vor sich. Nichts Heldisches ist an ihr, kein Glanz und auch kein Charme, durch den sie befähigt gewesen wäre, zum Mittelpunkt eines auf sie hin orientierten Menschenkreises zu werden. So ist auch ihr Weg in den Westen in sich kein aktiver, flammender Protest (wozu er von der Publicity gestempelt wurde), sondern ein passiver Rückzug. Swetlana war nie eine Kampfnatur und wird auch in Zukunft keine werden. Sie ist nichts weiter als eine unkomplizierte, schlichte, vom Russentum geprägte Frau Unserer Tage. Erst und allein als solche ist sie für uns von eminenter Bedeutung. Ihre unprätentiöse, simple und diskrete Niederschrift spiegelt (trotz vermutlicher redaktioneller Bearbeitung durch ihren amerikanischen Verlag, trotz der Umstrukturierung mancher Akzente durch die Übersetzer) ihr ganzes Wesen, ihre Naivität, ihre Ratlosigkeit und gesellschaftliche Ohnmacht.
Eben darin aber liegt der Reiz, den ihr Lebensbericht ausübt und durch den er zu einer Dokumentation von weittragender Wirkung zu werden berufen ist. Nirgendwo setzt sich diese Frau in Pose, nie versucht sie mehr aus sich zu machen als sie ist.
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