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ULRICH BAUMGARTNER / ZWISCHEN INDUSTRIE UND KULTUR

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Die Wiener Wirtschaftsjournalisten, mit denen vor kurzem der Pressechef der Böhler-Werke, Ulrich Baumgartner, nach Niederösterreich fuhr, um ihnen in einem Steinbruch ein Großbohrgerät in Aktion vorzuführen, ahnten noch nicht, daß es der soeben designierte neue Intendant der Wiener Festwochen war, der ihnen hier sachkundig nüchterne technische Vorgänge erklärte und geläufig über alle Einzelheiten sprach. „Die Sprengung, die wir sahen, glich einer Naturkatastrophe“, meinte Baumgartner. Sollte diese gewaltige Fels- und Erdbewegung ein deut- sames Vorzeichen für die neue Tätigkeit des nun bald Sechsundvierzigjährigen sein, der ab März 1964 nicht mehr mit Technikern und industriellen Führungskräf ten, sondern mit Theaterdirektoren, Dirigenten und Künstlern am Konferenztisch sitzen wird? Baumgartner, ein in Berlin geborener Wiener, der seine entscheidenden Lehrjahre in Graz verbrachte, sieht eine seiner wesentlichen Aufgaben darin, für die Wiener Festwochen Ideen zu entwickeln und Werke auszuwählen, die ihm nicht im Verlauf der allgemeinen Saison „weggespielt" werden.

Der etwas ungewöhnliche Wechsel zwischen zwei so verschiedenartigen Funktionen vollzieht sich, ganz selbstverständlich. (Man vergesse nicht, daß zum Beispiel Max Burckhard vor seiner Ernennung zum Burgtheaterdirektor Jurist im Staatsdienst war.) Für den mittelgroßen Mann mit dem glattgebürsteten schwarzen Haar und dem kurzgestutzten Schnurrbart, wie ihn die Filmbonvivants der dreißiger Jahre gern trugen, bedeutete die Arbeit in der Industrie keine im stillen a priori zeitlich begrenzte Zwischenstation, sondern eine organische Phase seines Lebens, ein „spannendes" Ausloten neuer Bereiche. Entschiedener Anhänger empirischer Methoden, will Baumgartner seine Erfahrungen und Anregungen als Industriepublizist nicht missen. „Wir bewundern an den amerikanischen Schriftstellern immer ihre Lebensfülle, die sich nicht zuletzt aus einer vorurteilslosen Einstellung zur Abfolge der verschiedensten Berufe ergibt. Dabei lernt man die Dinge von oft völlig konträren Seiten kennen,

und das ist bestimmt nur von Vorteil.“

Der neue Festwochenintendant praktizierte seine Prinzipien von Anfang an. Nachdem er früh, in Berlin Kontakt mit Architekten aus dem Bauhaus-Kreis, Malern und Kunstgewerblern gefunden hatte, begann er in Graz Kunstgeschichte zu studieren. Als Soldat kam er in Paris mit der modernen französischen Literatur in Berührung. „Dort erhielt die Résistance von der Bühne herab immer wieder geistige und seelische Impulse, ohne daß es die Deutschen bemerkten.“ Nach dem Krieg leitete Baumgartner die Grazer Studentenbühne, ehe er Kritiker bei der Tageszeitung „Neue Zeit" wurde. Dann vertauschte er rasch entschlossen seinen Rezensentensitz mit dem Regiepult und inszenierte etwa hundert Stücke an den Vereinigten Bühnen Graz. In der Rückschau erscheinen ihm Wilders „Wir sind noch einmal davongekommen" und Sartres „Verschlossene Türen“ als seine markantesten Regiearbeiten.

Neben der journalistischen Tätigkeit und der Gestaltung von Bühnenfassungen — mit einem Radius von Calderon bis zu Jen- bach und Stein — entstand eine (und bis jetzt die einzige) Monographie über den Bildhauer Wander Bertoni. Als Herausgeber zeichnet Baumgartner für einen Anastasius - Grün - Auswahlband in der Stiasnv-Reihe „Das Österreichische Wort“. Bei Stiasny wird auch eine parodistische Architekturkritik mit dem Titel

„Der schiefe Turm zu Babel“ erscheinen, während die zeitkritischen und kulturpolitischen Betrachtungen über die „technisierten Musen“ noch in statu nascendi sind. „Wo soll ich momentan die Zeit zum Schreiben hernehmen?“ Als seinen persönlichen Lieblingsautor bezeichnet Baumgartner Albert Camus und erklärt: „Er ist die ideale Mitte, kein Genie, sondern die höchste Steigerung des Talents.“ Interessante und weithin beachtete Proben seiner Fähigkeit als kultureller Organisator gab Ulrich Baumgartner bereits mit den „Kapfenberger Kulturtagen“, deren Profil er entscheidend mitbestimmte. In Kapfenberg wurde unter anderen das erste Symposion für Stahlplastik abgehalten, und die diesjährigen Veranstaltungen unter dem Motto „Die kulturellen Möglichkeiten einer Industriegemeinde" aktivierten weite Kreise der Bevölkerung mit einem sehr ambitionierten Programm, das jegliches Abgleiten in selbstgefälligen Provinzialismus von vornherein ausschloß. — Unsere Zeit hat den Typus des Kulturmanagers, des Programmdirektors geschaffen, das ist eine gegebene Tatsache. Es kommt nun darauf an, wieweit der einzelne von sich aus durch die Oberfläche des Kultur-„Betriebes“ in die Tiefen vorstößt und echte Werte zutage fördert. Die nächsten Jahre werden Ulrich Baumgartner jedenfalls mit vielen Problemen und — vielen Erwartungen konfrontieren.

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