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Volkstänze

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Seit drei Jahrzehnten hat Univ.-Prof. Doktor Richard Wolfram (Salzburg) ganz Nord-, West- und Südosteuropa durchwandert, um die zahllosen Formen von Volkstänzen bei den verschiedensten Völker zu studieren. Seine Musikalität und seine außerordentlichen Spradikenntnisse haben ihn befähigt, ein ungeheures Material darüber in Bild, Wort und Ton aufzunehmen, das als einzigartig bezeichnet werden muß.

Als erete größere Frucht seiner mühevollen und wenig bedankten Forschungen legt er uns nun ein Buch vor, das er selber, allzu bescheiden, als „kurzen Abriß“ bezeichnet, der aber den meisten Lesern (auch Fachleuten) völlig neue Einsichten in die Fülle und in das Wesen der europäischen Volkstänze erschließt.

Wenn dabei unser Österreich im Mittelpunkt der Darstellung steht, so ist da6 nicht nur patriotisch, sondern auch sachlich durchaus begründet. Gerade Wolframs weitausgreifende Studien zeigen, daß wir tatsächlich „das Volk der Tänzer und der Geiger“ waren und sind. Schon Reimnar von Hagenau hat von uns Österreichern vor sieben Jahrhunderten gesagt, daß hier „Arme und Reiche tanzen und fiedeln“.

Es entspricht bester und modernster volkskundlicher Methode, daß Wolfram sein Hauptaugenmerk nicht so sehr auf die Tänze als vielmehr auf das Tanzen richtet, auf die Körperhaltung und Führung, auf Grazie und

Beschwingtheit, ebenso wie auf Ernst und Verhaltenheit, auf die vielen laufenden, hüpfenden, federnden, schweren und gestampften Schrittarten, ganz besonders aber auf die letzten Feinheiten im Musikalischen, Rhythmischen und im — Gesichtsausdruck der Tanzenden. Wo hier Worte nicht ausreichen, kommen vorzügliche Bilder zu Hilfe. Man 6ehe sich die Gesichter beim Gailtaler Lindentanz, beim Innvieitler Landler, beim Südtroler Spitz-buamtanz, beim burgenländi6fhen „Flug-6ummi“ und andere an (Abb. 12 bis 30) und man wird erkennen, welche adelige, keusche Würde, welches Maß von Anmut, welche Tiefe und Fülle innerster Musikalität einem da entgegenleuchtet. Wer das recht zu sehen versteht, dem wird das Wort vom »Sittenspiegel“ klar, das jede rechte Volkskunde 6eit den Zeiten des Tacitus 6ein sollte.

Was bei solchen Forschungen wissenschaftlich zu gewinnen ist, zeigt 6dion der Aufbau und die Gliederung des überreichen Stoffes. Zwei große Gruppen, die Kulttänze, wie Tierund Baumtänze, Perchten-, Tresterer- und Schemenlaufen, Burschen-, Hochzeits- und Totentänze einerseits und die mindestens teilweise daraus hervorgegangenen Gesellig-keits-, Gruppen-, Werbe- und vor allem Paartänze andererseits. Inmitten zwischen beiden Gruppen stehen die Kelten- und Reigentänze, die als Schwert-, Reif-, Zäunertänze noch kultisch, als Kontratänze und Quadrillen bereits gesellschaftlich sind. Dabei tun sich ungeahnte Zusammenhänge auf, bisweilen bis in vorge-schichtlidie Zeiten. Der Weitblick ethnologischer Schau und der Tief blick in die Einzelheiten ergeben viele neue Erkenntnisse. Der russische Hockschleudertanz zum Beispiel, der schon den alten Griechen durch die Perser bekannt wai und der durch neuere Forschungen auch bei den Etru6kern festgestellt wurde, zeigte s 'di Wolfram bei seinen weiten Wanderfahrten in norwegischen Burschentänzen, bei englischen „Hornpipen“, beim irischen „Jig“, beim französischen „Rigaudon“, in der spanischen „Chabrada“ und selbst bei nordafrikanischen Hirten, kurz, in einer bisher ungeahnten Verbreitung.

Wir müssen es uns mit diesen Andeutungen der wissenschaftlichen Werte des Buches genug sein lassen, sie sollen in Fachzeitschriften näher erörtert werden. Wohl aber scheint es uns nötig, hier noch kurz auf die Ergebnisse fürs tätige Leben hinzuweisen, die dem Verfasser in diesem Buch da6 Hauplanliegen sind.

Zwei Gegenströmungen gefährden da6 jahrtausendalte Wesen der Volkstänze: das vereinsmäßige Preis- und Schautanzen und das „moderne Tanzen“, Die größere Gefahr 6ehen wir kl der erstgenannten Art. Man braucht nur das für Fremdenverkehr6werbung und zum Preistanzen verzerrte Schuhplatteln (Abb. 31) etwa mit dem Bild vom Gailtaler Lindentanz zusammenzuhalten und man weiß alles! Die Gefahr, wird von freundlich lächelnden hohen Besuchern, von Presse- und Filmreportern und von Managern aller Art, die alle miteinander keine Ahnung vom wahren Volkstanzen haben, außerordentlich gesteigert. Ihr Beifall und finanzieller Lohn, ihre Freude über die „Attraktion6kraft“, mit der sie solche Entartungen in Rundfunk, Film und Presse ins grelle Scheiriwerferlicht stellen, bringen es mit unfehlbarer Treffsicherheit dazu, daß die Würde und Adligkeit der Volkstänze mehr und mehr durch ordinärsten „Gamshuaberlgschnas“ verdrängt wird, bis die Bevölkerung in diesen Häßlichkeiten 6elber das „Richtige und Echte“ sieht...

Hier kann Wolframs Budi zum wahren Segen werden, wenn es endlich der Eiiisidü Bahn bricht, wie dringend nötig eine gründliche volkskundliche Bildung in Akademiker-, Beamten-, Theologen- und Lehrerkrei6en wäre, wenn wir unsere Volkskultur und damit einen der größten Schätze Österreichs retten wollen! Ernst, Würde, Anmut und adelige Keuschheit an Stelle von immer wieder beklatschten, ja ausgezeichneten Ver-gschnasungen!

Geringer, wenn auch keineswegs unwichtig, erscheint uns die zweite Gefahr, das „moderne Tanzen“ der Gesellschaft. Ihm ist das erste Kapitel von Wolframs Buch gewidmet, das wohl die nobelste, von jeder Gehässigkeit freie und dabei äußerst aufschlußreiche Betrachtang dieser Erscheinung darstellt. „Jazz“ (vielleicht hängt das Wort mit chase — Jagd zusammen) ist durch 6eine alle6 übertönende Schlagwerkrhythmik gekennzeichnet, die 60 ziemlich das maschinenhafte Gegenstück zur lebendig atmenden Grazie einer Walzer- oder Landlermusik (Bruckner!) darstellt. Und ebenso gegensätzlich ist die Haltung der Tanzenden hier und dort. Man vergleiche die Gesichter auf den oben genannten Volkstanzbildern mit dem gelangweilten, blasierten oder aber, etwa beim Swing, „ungut außer Rand und Band geratenen Gesten der Modetänzer. Oder man vergleiche das pathetisch traurige und sentimentale Genäse! gestopfter Trompeten und das brünstige Katzengeheul der Saxophone mit der kraftvollen Frische der Tanzgeigen, Klarinetten. Baßgeigen und Homer. Hier Ausdruck gesunden, frohen und ernsten Volkslebens, dort Rhythmik und Ausdruck des vermaßten Maschinenmenschen.

Nicht genug können wir das Verdienst dieses Buches für Wissenschaft und vor allem fürs Leben rühmen. Möge e6 in keiner Volksbildungsbücherei fehlen und in die Hand jedes Freundes und — Feindes der Volkskultur gelangen!

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