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Von der Wahrheit, von Werther und Werfel

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EIN STRAUSS VON IRRTÜMERN. Roman von Salvador de Madariaga. Aus dem Englischen von Hugo Raumann. Fischer-Bücherei, Band 345. Preis 2.20 DM. - OLIVIA. Von O Ii via. Roman. Fischer-Bücherei, Band 348. - JACOBOWSKY UND DER OBERST. Roman nach dem Bühnenstück von Franz Werfel. Von S. N. B ehr mann und George Fr o esc hl. Aus den Englischen („Me and the Colo-nel“) von Anton Langer. Eduard Wancura Verlag 1960. 219 Seiten. Preis 65 S.

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EIN STRAUSS VON IRRTÜMERN. Roman von Salvador de Madariaga. Aus dem Englischen von Hugo Raumann. Fischer-Bücherei, Band 345. Preis 2.20 DM. - OLIVIA. Von O Ii via. Roman. Fischer-Bücherei, Band 348. - JACOBOWSKY UND DER OBERST. Roman nach dem Bühnenstück von Franz Werfel. Von S. N. B ehr mann und George Fr o esc hl. Aus den Englischen („Me and the Colo-nel“) von Anton Langer. Eduard Wancura Verlag 1960. 219 Seiten. Preis 65 S.

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„Was der Hund erzählte“ nennt Madariaga das erste Kapitel seines Kriminalromans „Ein Strauß von Irrtümern“. Es ist das geistvollste und heiterste, dem noch elf weitere, einander völlig widersprechende Darstellungen eines und desselben Vorfalls, vermutlich des Selbstmordes eines empfindsamen, in seine Stiefmutter verliebten jungen Adeligen auf einer Party der panischen Gesellschaft, folgen.

Der Schwindler Film hat diese Technik schon öfters virtuos praktiziert; ihm liegt es, Wirklichkeit im Objektiv subjektiv aufzuspalten und zu verwirren. Aber auch der große spanische Diplomat, Literat, Historiker und Soziologe hat offensichtlich seinen Spaß daran, schlägt mit den Karten neckische Volten und schmückt das fast mathematische Spiel mit ironischen menschlichen und politischen Arabesken. Fast wird der Spaß zu weit getrieben, denn im Schlußkapitel, „Was ein Skeptiker erzählte“, wird nicht nur der ganze psychologische Konflikt auf höchst abstruse Weise auf das wirtschaftspolitische Gebiet verschoben, sondern auch alle Gerechtigkeit und Wahrheit auf Erden („Wahrheit... Wahrheit... der Duft eines Straußes von Irrtümern“) in Frage gestellt. Und diese Skepsis hat schon vor 2000 Jahren einmal einen römischen Statthalter in verhängnisvoller Weise in eine Divina et humana comedia riesenhaften Ausmaßes eingreifen lassen. Hier liegt sie in Taschenbuchformat vor.

Über die Persönlichkeit der Schriftstellerin Olivia, die sich jahrelang hinter dem Namen der Mädchengestalt ihrer Dichtung verbarg, ist bis heute nicht viel bekanntgeworden. Dorothy Simon Bussy ist vermutlich Engländerin, eine Schwester des Biographen G. L. Strachey, zu dessen Freundeskreis Virginia und Leonard Woolf, Roger Fry und E. M. Forster zählten. Sie war mit Andre Gide befreundet und mag auch dieser Freundschaft die Auszeichnung verdanken, daß der Nobelpreisträger Martin du Gard ihre „Olivia“ ins Französische übertrug. Die vorliegende Übersetzung aus dem englischen Original stammt von S. Neumann. Sie macht uns mit einem erlesenen Stück moderner Frauenliteratur bekannt, einer sprachschönen Pensionatsgeschichte von sehr durchgeistigter Erotik, die nirgends mißverstanden werden kann. Im seelischen Klima steht der Roman, der nach den Gesetzen der Poetik viel eher als Novelle anzusprechen ist, zwischen „Werthers Leiden“ und „Mädchen in Uniform“.

Werfeis Bühnenstück „Jacobowsky und der Oberst“ gehört zu jenen Teilen des Werkes des Dichters, die bleiben werden. Die schmerzliche Heiterkeit, die über dieser Geschichte einer abenteuerlichen politischen Flucht im Sommer 1940 liegt, ist mehr noch als andere Werke Werfeis mit dem Herzblut des ruhelosen ewigen Wanderers zu Gott hin geschrieben. Einzelne Dialogstellen und Redewendungen gehören schon heute zum unverlierbaren klassischen deutschen Sprachgut. Offensichtlich durch das Zwischenspiel einer (übrigens recht glücklichen) Verfilmung verführt, entstand in England ein Roman zweier Autoren, der nunmehr deutsch vorliegt. Es läßt sich nicht viel Böses und manches Gute über ihn sagen, womit freilich das literarische Kuriosum solcher nachgeschriebener Doublierungen noch lange nicht gerechtfertigt wird. Hoffentlich knöpfen sich die beiden gefinkelten Schreiber nicht demnächst auch „Hamlet“ und „Faust“ vor, die, wie der Werfel, auch picht eben nach Prosafassungen schreien.

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