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VON GOTT ERSONNEN

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Kein Sonnenstrahl entzündet sprühendes Licht auf den Ästen der Fichten, die sich gramvoll neigen unter dem unbarmherzigen Schnee, der sich schwer und aschfarben auf den Zweigen angesiedelt hat. Der Bach raunt nur ganz zag unter der schillernden Eisdecke. Die Hasen- und Fuchsfährten sind verweht. Mit abweisendem Hochmut sitzt ein Habicht auf einem Zaun, mit unnachahmlicher Grandezza dreht er den Kopf nach links und nach rechts. Königlich scheint er über die Winterwildnis zu herrschen. Zwei Meisen kauern im Gezweig einer Tanne., ihre ängstlichen Blicke sind der schrecklichen Situation, in der sie sich befinden, angepaßt. Anscheinend beachtet sie der Habicht gar nicht. Plötzlich stößt er herab, und ein wirbelnder Kampf findet statt. Aber es ist erstaunlich: die beiden goldstrahlenden Meisen schießen davon und der furchtgebietende Vogel sitzt vergrämt auf seinem Pfahl. Alle Farben sind unsäglich zart, sanftes Rosarot, blaßes Gelb. Die Zäune werfen wassergrüne Schatten. Die Welt ist voll Frieden, nichts lodert, und am frühen Morgen haben die Wiesen unwirtliche Metalltöne. Rotes Gefunkel erzeugen die Eichkatzen in den Ästen der schläfrig geneigten Fichten. Kein Vogel singt, nur das dunkle Geraune des Bergbaches ist zu hören. Es riecht nach Geborgenheit, nach einem Frieden, der sich hier heraufgeflüchtet hat, dicht und stark, voll strahlender Süße.

Auf einer Lichtung stehen zwei Rehe. Rubinrot leuchten sie auf, ruhiges, beständiges Feuer, Glanz und Stille. Ihre dunklen Augenpaare beherrschen den Wald, ihr Blick dringt ein in unbekannte Tiefen. Sie können nur von Gott ersonnen sein, ihr Blick verrät es. Sie werfen pfaublaue Schatten; unter ihnen schimmert es weiß, und diese Helligkeit liegt auch auf hohen, vertrockneten Rispengräsern. Als sie erscheinen, ist ein Netz summender Stille über alles gebreitet. Nur das beruhigende Murmeln des Baches ist zu vernehmen. Die jungen Lärchen und Fichten mit ihren dünnen Stimmen scheinen einander Geheimnisse anzuvertrauen. An manchen Stellen im Wald ist das feuriggrüne Spitzengeriesel der Farne zu sehen. Die Rehe triumphieren. Sie stehen da, so leicht, nur hingeweht, dennoch Beherrscher des Waldes. Die Kupfernattern, in Baum- und Erdhöhlen, treiben nicht mehr ihr verworrenes Spiel, sie liegen geglättet da und dienen allein der Schönheit; tief dringen sie ein ins Geheimnis abstrakter Kunst, ohne überheblich 2U sein. Die Sonne ist nur ein Silberfleck, ihre Strahlen zielen wie Pfeile ins Zauberdickicht der Bergwälder. Die Rehe drehen ihre Köpfe nach allen Seiten, ohne Furcht, ohne wehleidige Scheu. Nun spähen sie in die Ferne. Langsam schreiten sie, ihre glänzenden Läufe hebend, zum Bach hin und tauchen die schimmernden Schnauzen ins Wasser. Gelassen und ohne Hast trinken sie und spiegeln sich an ruhigeren Stellen im Bach, der voll kindlicher Munterkeit dahinhüpft über sattgelbe und rosafarbene Steine. Es riecht nach Metall, nach Holzrauch, der von den Hütten, die am Waldsaum liegen, aufsteigt. Dort unten in den Tiefen stehen die Lärchen,bäume zaghaft und sanft da, hier streben sie in die Weite und werfen ihre Häupter nach hinten, Fichten klettern in Rudeln die Hänge empor, ohne Ordnung stampfen sie daher, lustig und unbekümmert. Die Zirben weichen ihnen in weitem Bogen aus, sie sind meistens Einzelgänger. Zuweilen dulden sie einen Artgenossen neben sich, brüderlich schlingen dann die beiden ihre Äste ineinander, sie bieten sich dem Sturm dar, der ihnen verwegene Gesänge entlockt, die hinbrausen über die Kare, über Heuhütten, die sich klein in den Schnee schmiegen, in meerblaue Schatten. Licht gleißt auf den runden Hüten der Zirben- bäume. Die rubinroten Rehe kommen näher. Um sie ist zartes Summen, es gibt keinen dunklen Wald, er glänzt auf. Der Fuchs schleicht daher, siedendes Pech im gesträubten Nacken- haar, wilden Schein im süchtigen Blick. Doch er nähert sich demütig, gar nicht feindlich. Sein Pelz erlischt neben den rosaroten Leibern der Rehe. Er kann nicht mit ihnen konkurrieren, klein und unscheinbar duckt er sich jetzt in den Schnee, der Geringsten einer. Groß und herrlich sind sie neben ihm, aus einer anderen Welt, in der es den Haß nicht gibt und die sture, böse Gewalt. Ein Rauschen ist zu hören, ein geheimnisvolles Wehen, der Himmel sinkt voll Liebe an die Brust der Erde. Da — der Knall einer Büchse! Die Rehe flüchten ohne Hast in herrlichen Sprüngen in den Wald. Im Gewirr der alten, bärtigen Fichten, deren Äste sie raunend umfangen, finden sie Zuflucht.

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