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Von Rebellen und Partisanen

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Wann hörten wir das erstemal von ihnen? Niemand weiß mehr das genaue Datum, wann im Wchrmachtsbericht von dem Auftreten von Banden und deren Bekämpfung zu sprechen begonnen wurde. Später setzte sich das Wort Partisanen diesseits und jenseits der Fronten des zweiten Weltkriegs allgemein durch. Heute ist der Partisan ein fester Posten in der Rechnung der Cencralstäbe von West und Ost — eine neue Waffengattung, die kaltblütig und bedenkenlos einzusetzen sich niemand mehr versagt. Die „Levee en masse“ ist bei ihrer letzten Konsequenz angelangt.

Es ist daher eher verwunderlich, wenn das Phänomen des Partisanen und der von ihm in Szene gesetzten Veränderung der Landkarte und der Machtverhältnisse bis heute eigentlich nur in Romanen und in der militärischen Fachliteratur seinen Niederschlag gefunden hat. Nun liegen gleich zwei Bücher vor, von denen jedes auf seine Weise um die Erhellung des Kampfes im Dunkel und der Psychologie seines Trägers bemüht ist. Das eine schrieb ein Engländer, das zweite hat einen Deutschen zum Verfasser. Und charakteristisch für englische und deutsche Art, an ein Problem heranzugehen, sind die beiden vorliegenden Bücher in der Tat. Der Engländer wählt die naturwissenschaftlich-medizinische Methode, der Deutsche hält es mit der Geisteswissenschaft. Kühl und gelassen erstellt Brian Crozier nach fleißigem Studium der verschiedenen Krankengeschichten und auch persönlichen Besuchen bei seinen „Patienten“ einen Befund. Rolf Schroers aber steigt hinab zu den Müttern. In seiner Studierstube erarbeitet er dann eine Anthropologie oder sogar eine Philosophie des Partisanen. Stärke und Begrenzung jedes der beiden vorliegenden Werke werden uns dadurch schon deutlich. Der englische Autor läuft Gefahr, „journalistisch“ an der Oberfläche der Phänomene zu bleiben, der deutsche Schriftsteller wieder faustisch, allzufaustisch, seiner Konzeption vom Partisanen zuliebe die Wirklichkeit mit allen ihren Widersprüchen ein wenig zu kurz kommen zu lassen. Nebeneinandergelegt und nacheinander gelesen, bilden die beiden Bücher aber ein Ganzes.

Brian Crozier begegnete der Welt der Aufständischen zuerst als Vertreter von „Reuter Australian Associated Press“ in Malaya und in Vietnam. Seither hat ihn dieses Phänomen nicht aus seinem Bann gelassen, und er spürte — an Anschauungsmaterial war ja im letzten lehrzehnt kein Mangel — beharrlich den Gesetzen nach, gemäß denen in Europa und in Afrika, in Asien und in Südamerika immer wieder Männer einem mit Geld, Soldaten und allen Hilfsmitteln der modernen Technik ausgestatteten Verwalter der Macht Trotz boten und diese ihm sogar gar nicht selten entrissen haben.

Brian Crozier gibt uns eine vergleichende Darstellung dieser Aufstände, der gelungenen wie der gescheiterten, in ihren einzelnen Phasen, angefangen vom Nährboden der Enttäuschung oder Frustration (um das Lieblingswort des Verfassers zu gebrauchen) bis zum siegreichen oder bitteren Ende. Er versagt sich nicht, der Art und Weise, wie England mit der verfahrenen Situation in Malaya fertig wurde, sein Lob zu spenden und die französische Politik in Indochina hart zu tadeln. Sein patriotischer Stolz wird aber gedämpft bei der Erkenntnis der Fehler seiner Landsleute auf Cypern und vor allem in Nyassa-land. Crozier plädiert für rechtzeitiges Erkennen einer revolutionären Situation und für die Sanierung derselben von der Wurzel. Vielleicht könnte man seine Erkenntnis, die er neben der aufschlußreichen und eingehenden Darstellung vermittelt, am besten als „aufgeklärte Unterdrückung der Rebellion, gepaart mit sichtbaren Reformen“ charakterisieren. In diesem Zusammenhang bricht er übrigens eine Lanze für Bao Dai, der sonst ja allgemein keine gute Presse hat. Dieser wäre — nach Crozier — nie in das Leben eines reichen Müßiggängers verfallen, hätte 1945 die Kolonialmacht in ihm einen Partner für morgen erkannt. Am Beispiel des Tunku Abdul Rahman von Malaya, der den entgegengesetzten Weg vom lebenslustigen Prinzen zum verantwortungsvollen Premierminister ging, weiß der Verfasser seine These zu erhärten.

Ansonsten ist aber eher die „Anatomie“ Brian Croziers Stärke. Auf Erkenntnisse oder gar auf Vorschläge zur Sanierung der von ihm angeschnittenen Probleme werden wir vergeblich warten. Freimütig bekennt der Verfasser: „Es würde mehr als dieses Buch erfordern, um die besonderen Probleme zu lösen, die in ihm untersucht wurden.“

Da hält es Rolf Schroer schon anders. Auch er gibt uns in seinem Werk, von dem er bekennt, es sei „schillernd wie sein Gegenstand“ (S. 8), keinen Leitfaden für den Umgang mit Partisanen. Aber um die Vorstellung desselben, um die Erhellung der letzten Motive dessen Handelns ist er bemüht. Schroers läßt nicht nur den zweiten Weltkrieg bald hinter sich, er erhebt sich im Laufe seiner Untersuchung über alle Stätten blutiger Auseinandersetzung. Sein Partisan „stört den Frieden, der ihn töten will“ (S. 24). Von dieser Auffassung partisanenhafter Haltung ist es nun nicht mehr weit, um in dem Partisanen letzten Endes den Gegentyp der „nach dem technischen Prinzip organisierten uniformen Welt“ (S. 27) zu erkennen. Dem Menschen, der in einer durchorganisierten Welt noch sein eigenes spezifisches Gewicht erhalten will, bleibt so — nach Schroers — nichts anderes übrig, als sich auch im Frieden „partisanenhaft“ zu verhalten. Der Gang durch den Wald, den Finger am Drücker der Maschinenpistole, ist nur die extremste Form dieser Grundhaltung.

So versucht Schroers in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts mit seinem „Partisan“ etwas Ähnliches, wie es Jünger in der ersten Hälfte mit dem „Arbeiter“ getan hat. Der Vergleich liegt nahe und wurde auch nicht von uns als erste gezogen. Wie es dem aus „Stahlgewittern“ kommenden Jünger um die Vorstellung eines neuen Menschentypus ging, so will der mit dem „schmutzigen Krieg“ unserer Zeit vertraute Schroers ein Gegenbild zur technischen Arbeits- und Kriegswelt erstellen. Er läuft mit Jünger Gefahr, daß sich die Wirklichkeit nicht an das an die Wand geworfene Abbild hält, er teilt mit ihm jedoch leider nicht die Klarheit und Geradlinigkeit der Aussage. Dunkel wie so manche Passage in diesem Buch, ist auch sein Schluß. Aus der Tatsache „Partisan“ kann — nach dem Verfasser — eine neue Verbindlichkeit einmal entstehen, auf die „eine neue Autorität für ein neues Äon“ (S. 344) sich gründen mag, welche die Herrschaft des technischen Prinzips auf dieser Welt — ob sie sich frei nennt oder sich als kommunistisch vorstellt — ablösen wird. Und ein Malraux-Zitat: „Das Blut muß auf die Menschen zurückfallen und dort bleiben.“ Soll hier einer neuen Blut-myttik das Wort geredet werden?

Fragen, viele Fragen. Sie bleiben zarück bei diesem hochintelligenten Buch. Oft wetterleuchtet es bei seiner Lektüre. Gedanken blitzen auf, schon glaubt man sich einer großen Analyse und Darstellung unserer Zeit und ihrer Menschen konfrontiert; da brauen wieder undurchsichtige Nebel aus des Verfassers Alchimistenküche, in der er um seinen neuen Menschen, den Homunculus post atomicus, bemüht ist... Ewiger deutscher Faust, diesmal Ausgabe 1962.

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