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Vor grobem Entscheid

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Freund, gehen wir wählen! Genug der Anpreisungen und der Polemik. Die fatalen Tage der Demokratie, in denen die guten Vorsätze für Maßhalten und honette Diskussion schon zu verlöschen drohen, nähern sich ihrem Ende. Gehen wir wählen! Würden wir verzichten und schweigen, dann sagen wir ja zu allem, was in den nächsten vier Jahren geschehen wird. Dann dulden wir alles, was in dieser Zeit nicht geschehen sollte und hätte verhindert werden können. Dann sprechen wir frei alle Schuldigen. Wer nicht wählt, hat sich des Rechtes begeben, in den nächsten vier Jahren als Staatsbürger seine Stimme irgendwo zu erheben. Wer nicht wählt, hat sich zur Zeit politisch ausgebürgert und den dunklen Mächten den Weg freigegeben. *

Diese Wahlen werden denkwürdig sein. Sie sind die ersten politischen Wahlen in Freiheit der Zweiten Republik Oesterreich, und sie sollten Erinnerung sein, daß unser Land und unser Volk vor 25 Jahren daran waren, in den Abgrund geschleudert zu werden.

Damals das Hereinbrechen der wirtschaftlichen Weltkrise mit aller Wucht über Oesterreich, die Katastrophe in unserem Bank- und Kreditwesen, die Bedrohung unserer Währung, die würgenden Sparmaßnahmen, Kürzung der kargen Beamtengehälter, Sorge, Angst und quälende Unzufriedenheit. Das war die Zeit, in der das Wort von der „Lebensunfähigkeit Oesterreichs“ der Verzweiflung entsprang. Unsere Epoche ist von einem so raschen Lauf packender Ereignisse durchströmt, daß es noch nicht jedermanns Sache war, den Wandel zu ermessen, der sich in diesem Vierteljahrhundert vollzog, den Abstand zwischen dem blutleeren Oesterreich von damals und dem Oesterreich des innerhalb der letzten zwei Jahre eines von 831 auf 885 gesteigerten Produktionsindex, des gehobenen Lebensstandards breiter Massen und des Eintritts unseres Landes in die Reihen der Erdölterritorien. Was andere als ein glückliches kommerzielles Ergebnis einschätzen und der christliche Mensch als ein Gottesgeschenk betrachtet, die Eröffnung von Bodenschätzen, die in der Rangordnung der modernen Produktionsmittel schon dem Eisen den Rang streitig machen, vermag in verantwortungsvoller Betreuung auf Generationen hinaus eine neue Quelle der Kraft für sozialen Fortschritt und ausgleichenden Wohlstand zu werden.

Erdöl ist flüssiges Gold. Nicht umsonst hat Moskau im Staatsvertrag als Entgelt für die russischen Oelquellen in Oesterreich nicht Geld und nichts anderes als zehn Millionen Tonnen Erdöl sich ausbedungen. Das flüssige Gold, in unsere Erde gelegt durch göttliche Schöpferhand, ist ein Besitz, für die allgemeine Wohlfahrt bestimmt, verpflichtend zu strenger Obhut. Die Verfügung über diese Schatzkammer und ihren Reichtum unterliegt anderen volkswirtschaftlichen Gesetzen sozialer Ethik als die Erzeugnisse menschlichen Ingeniums und Arbeitsfleißes. Dafür Vorsorge zu treffen, wird eine Hauptaufgabe der neugewählten Volksvertretung sein.

Die bisherige öffentliche Diskussion ist so ziemlich an der Oberfläche der zur Lösung gestellten Probleme geblieben. In scharfen Extremen begegnen einander die gegnerischen Anschauungen, auf der einen Seite geboren aus dem Verlangen, das traumhaft schöne,- nur sehr beiläufig auf 50 Milliarden Schilling geschätzte Staatseigentum an Erdöl in politischer Hand zu konzentrieren, auf der anderen Seite Privatisierungspläne, die auf eine Aufspaltung und Verzettelung der Verwaltung und Verwendung des kostbaren Gutes hinauslaufen könnten, wenn nicht große Vorsicht geübt wird. Das Ende darf nicht sein, daß im Streit der politischen Parteien sachschädliche Kompromisse entstehen.

Das sozialistische Begehren verweist die Betreuung des öffentlichen Eigentums an dem Erdölschatze und seiner Nutzung in den Bereich des Verkehrsministeriums. Dort ragt bereits in imposanter Größe ein staatswirtschaftlicher Turmbau von Babel empor, neben den staatlichen Einrichtungen des Verkehrswesens — Eisenbahn, Schiffahrt, Kraftfahrwesen, Luftfahrt, Post- und Telegraphenverwaltung — der gewaltige Troß der verstaatlichten und staatseigenen Industrien von dem Range der Alpine und VOeESt., der Steirischen Gußstahl-, der Böhler-, Schoeller-Bleckmann-Werke bis hinüber zu der Bleiberger Union und dem Aluminiumwerk Ranshofen, dann weiter in der Reihe acht Unternehmungen des Kohlenbergwerkbaues, sechs Maschinen- und Schiffbauanstalten, fünf Großunternehmen der Elektroindustrie, sechs Kraftwerke, das Linzer Stickstoffwerk usw. Der größere Teil' der industriellen Ausrüstung unseres Landes gehört bereits in den Bereich des — Verkehrsministeriums, das unter allen Fachministerien den größten und mächtigsten Organismus des Staates darstellt. Es kann wahrlich der Lenkung dieses kühn skis der Vielfalt zusammengewürfelten Riesenorganismus nicht der Respekt verweigert werden. Aber es ist ein anderes, ob die Kompetenz eines einzelnen Fachministeriums und seine Verantwortung noch höher getürmt werden darf, ob es berechtigt und erlaubt ist, aus einem Verkehrsministerium ein noch gigantischeres Museum widerspruchsvoller Machtvollkommenheiten zu schaffen und zugleich die Verantwortung ins Ungemessene zu steigern. Die“ Erdölschätze unseres Landes haben mit Verkehr und Post-und Telegraphenwesen, diesen rechtmäßigen Stammbezirken des Verkehrsministeriums, nichts zu tun. Es wäre vernünftig und sachgemäß, die Kompetenzen abzugrenzen und für die Verwaltung der Bodenschätze ein eigenes Ministerium zu schaffen. Dessen Leiter wird Aufgaben zu bewältigen und eine Verantwortung zu tragen haben, die einen Fachmann ersten Ranges, einen Mann von persönlicher Unabhängigkeit und Unparteilichkeit erfordern.

Mit dem großen neuen Gemeineigentum tritt ein besonderes Element, ein von internationalen Spekulationen des Petroleumkapitals gefährlich umlagertes Element in unsere Staatswirtschaft. Erfahrung eines charakterfesten, unabhängigen Fachmannes und seines Führerstabes wird in der Leitung angefordert sein. Schon den ersten, die Behandlung des österreichischen Erdölschatzes betreffenden Entschließungen wird große Tragweite innewohnen. Hier darf in der Wahl Parteipolitik und Proporz keine Rolle spielen. Das soziale Gewissen und nicht bloß merkantile Berechnung werden das neue Parlament in seinen Entschlüssen an erster Stelle zu leiten haben, wenn es in kurzer Frist zu Verwaltung, Nutzung und Schutz des neuen Staatsschatzes Stellung zu nehmen haben wird.

Der Entscheid reicht für das Objekt weit in die Zukunft, für das am 13. Mai neu zu wählende Volkshaus wird er eine Prüfung auf der Goldwaage sein.

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