6731105-1965_49_55.jpg
Digital In Arbeit

Das Abenteuer des Gewissens

Werbung
Werbung
Werbung

Das fragwürdige Vorrecht des Älteren ist, dabeigewesen zu sein. An die Anfänge des „Herold-Verlages“ aber und der „Furche“ erinnere ich mich wie an Tage des Aufatmens. Damals wurden, noch inmitten zertrümmerter Häuser und verwüsteter Geister, durch Richard Schmitz und Friedrich Funder, meine beiden Lehrer, für das neue katholische Österreich Zeichen gesetzt. Wegweiser gewiß zu jenen alten Zielen, für die beide gelebt, gekämpft und gelitten hatten: Österreich und die Kirche. Aber doch Zeichen von einer neuen Art, wie wir sie in der Ersten Republik oft gesucht, aber nirgendwo gefunden hatten. Keine neue „Reichspost“ sollte werden, keine katholisch-politische Tageszeitung, ein den wesentlichen Fragen offenes Wochenblatt, gewiß nicht dem politischen Leben entrückt, doch zu nichts verpflichtet als zu Wahrheit und Wirklichkeit, getragen vom Schwung einer über-standenen und bestandenen Prüfung, von Sorge um Österreich erfüllt, um die Freiheit des neuen Staates und vom Glauben, daß die Welt nach einer so gigantischen Katastrophe sich nun auf die Fundamente der göttlichen und natürlichen Ordnung besinnen werde. Da durfte ich, um Rat und Mitarbeit gebeten, dem Projekt des alten Freundes mit ganzem Herzen zustimmen. Hier ward aus einem sehr schmerzlichen Erlebnis heraus von unserem größten, immer noch besessenen Journalisten jener Weg zu einem neuen Neben- und Miteinander von Kirche und Staat, Kirche und Politik erkannt und umschrieben, den ich selber wie viele andere gesucht hatte und den ich dann später mitbahnen und gegen alle Versuche, wiederum zum politischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit zurückzukehren, sichern durfte.

Heute bezeugen die großen Kundgebungen unserer Oberhirten, daß gerade im Österreich der Koalition und somit notwendiger, ja oft herbeigewünschter Kompromisse die Mahnung zur Besinnung auf die Grundsätze aller persönlichen und staatlichen Existenz wichtiger ist denn anderswo. Heute, nach 20 Jahren erst recht. Nicht nur, weil wir nun der demagogischen Spiele müde sind. Eine Kirche, die endlich wieder die Welt als Aufgabe entdeckt, bedarf mutiger, ihrer Verantwortung bewußter Publizisten. Ob jeder von ihnen und mit jeder Zeile den richtigen, den gewünschten, den erwarteten Ton trifft? Was tut's, wenn nur das Ganze lebt. Über dem Fügen und Sicheinfügen vergessen wir nur zu oft das herrliche Abenteuer des Gewissens. Die vom Konzil aufgestoßenen Tore dürfen nicht wieder geschlossen werden, auch nicht heimlich oder weil viele nur die geschlossenen gewöhnt sind. Die Kritik um der Kritik willen, die überhebliche, ja zuweilen, wenn auch nicht so sehr in Österreich, zynische Kritik an der Kirche, geht seit der ersten Tagung in der Konzilsaula ins Leere, die offene, von der Verantwortung um Österreich und um diese Welt getragene Diskussion aber steht als eine Aufgabe vor uns, der wir nur gewachsen sind, wenn wir nicht die geistigen Quellen abmauern und weite Kreise auch des katholischen Volkes ungeschoren der Wohlstandsträgheit überlassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung