6708128-1964_09_12.jpg
Digital In Arbeit

Eine Überraschung

19451960198020002020

DIOGENES-ERZÄHLER-BIBLIOTHEK. Die ersten lehn Bände. Diogenes-Verlag, Zürich, 1963. Preis zwischen 13.80 und 15.80 DM.

19451960198020002020

DIOGENES-ERZÄHLER-BIBLIOTHEK. Die ersten lehn Bände. Diogenes-Verlag, Zürich, 1963. Preis zwischen 13.80 und 15.80 DM.

Werbung
Werbung
Werbung

Wieder einmal ist dem Diogenes-Verlag eine Überraschung gelungen, und es war auch diesmal eine freudige Überraschung, die der Verlag seinen Freunden bereitet hat: die Herausgabe der Erzähler-Bibliothek. Die ersten zehn Bände wurden bereits auf der Frankfurter Buchmesse dem Leser- und Käuferpublikum vorgestellt und stießen dort auf großes Interesse. Vierteljährlich sollen nun vier neue Bände erscheinen.

Schon der Titel dieser Reihe verrät es: Sie ist der Prosa gewidmet; ihre Autoren sind die Erzähler des 19. und 20. Jahrhunderts; natürlich nur eine Auswahl von ihnen, deren Grundlage ein Ausspruch Dürrenmatts darstellt: „Wie besteht der Künstler in einer Welt der Alphabeten? — Vielleicht am besten, indem er Kriminalromane schreibt, Kunst da tut, wo niemand sie vermutet. Die Literatur muß so leicht werden, daß sie auf der Waage der heutigen Literaturkritik nichts mehr wiegt: Nur so wird sie wieder gewichtig.“ Und damit werden sämtliche Fragen, wie: „Wo bleiben die Klassiker?“ oder „Wurde die Unterhaltungsliteratur nicht überbetont?“ und „So viel aus dem angelsächsischen Sprachraum?“, hinfällig. Auch die Autoren der beiden ersten Bände — Tschechow und Maupassant, die Väter der modernen Kurzgeschichte — bieten Hinweise auf die Pläne, die der Diogenes-Verlag mit der Erzähler-Bibliothek verbindet: Die „Geschichten“ sind sein Anliegen, poetische, dramatische, unheimliche und komische; bereits die ersten zehn Bände stellen einen guten Querschnitt dafür dar.

So findet der dankbare Leser eine von Hermann Hesse selbst vorgenommene Auswahl seiner Erzählungen, die außerhalb des Gesamtwerkes derzeit einzeln überhaupt nicht lieferbar sind. Die Erlebnisddchte, mit der der Aufbruch aus der Jugend in ein noch geheimnisvolles Erwachsensein erfahren wird, macht diese Erzählungen neben seiner Lyrik zum Schönsten, was Hesse geschrieben hat. Ein anderer Band ist Ambrose Bierce gewidmet, der, lange bevor er 1950 dem deutschen Leser in einem Zeitschriftenaufsatz vorgestellt wurde, in Amerika und Frankreich mit Lautreamont und Jarry verglichen wurde; seine Erzählungen, in denen sich die makabre Phantasie und der groteske Humor des Autors unvergleichlich äußern, werden damit sicher einen größeren Leserkreis finden. Die Herausgabe sämtlicher Erzählungen der amerikanischen Schriftstellerin Katherine Anne Porter ist geplant; der erste Band ist bereits erschienen und enthält die drei bekanntesten Novellen der Autorin. Drei weitere Autoren gehören dem angelsächsischen Sprachraum an: Cyril Hare, der zeigt, daß Detektivgeschichten keineswegs Reißer sein müssen, sondern durchaus auch Kunst sein können, Ring Lardner, der in seinen humoristischen Erzählungen die Schreibweise Salingers bereits vorweggenommen hat und der nun, wenn auch in einer Ubersetzung, dem deutschen Leser die Sprache des Durchschnittsamerikaners nahezubringen versucht, und Muriel Spark. die sich nach ihren Romanen mit einer selbst vorgenommenen Zusammenstellung ihrer Erzählungen vorstellt. Eine größere Auswahl der poetischen Erzählungen des russischen Dichters Konstantin Pau-stowski erscheint erstmals in deutscher Sprache. Auch die Herausgabe der zu Unrecht wenig beachteten Erzählungen des Schweizers Charles Ferdinand Ramuz entspricht den Intentionen des Verlages. Auf Anton Tschechow und Guy de Maupassant wurde bereits hingewiesen, und mehr als ein Hinweis ist in diesem Rahmen leider nicht möglich.

Für die Ausstattung dieser Reihe gebührt dem Verlag besonderer Dank: Das Kleinformat, der Dünndruck, die flexiblen Silkalineinbände mit schwarzem Rückenschildchen und Goldprägung, der Farbschnitt und die dreifarbigen laminierten Schutzumschläge mit Porträt und Kurzbiographie des Autors und vor allem auch die reichen Illustrationen machen diese Bändchen zu „Taschenbüchern“ im echten Sinn, zu Büchern, deren kostbarer Inhalt auch in eine kostbare und liebevoll ausgeführte Form gekleidet wird und die dennoch in jeder Tasche Platz finden.

So bleibt dem Rezensenten nur mehr, dem Verlag gutes Gelingen für die Fortsetzung der Erzähler-Bibliothek zu wünschen, die unter anderem Bände von Pirandello, Schnitzler, Giraudoux, Hemingway und Faulkner, mit Illustrationen von Chagall, Dali, Kubin, Klimt und Matisse, hingen soll.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung