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Großmeister der Kleinform

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Durch zahlreiche Feuilletons, Betrachtungen und literarische Essays ist den Lesern der „Furche" Sigismund von Radecki wohlbekannt. Besonders im „Krystall", dem Vorläufer unserer heutigen „Literarischen Blätter", war er sozusagen Stammgast. In Wien weilte Radecki nur von 1924 bis 1926, aber diese Jahre waren für ihn von besonderer Bedeutung, vor allem wegen der damals angeknüpften persönlichen Beziehungen zu Karl Kraus, zu dessen Sprachethos sich Radecki auch in den folgenden Dezennien immer wieder bekannte.

Lebenslang hat Radecki — in seinem äußeren Habitus, in der Weltläufigkeit seines Schaffens, ja in seiner Diktion und im Sprachakzent — auch die baltische Herkunft nie verleugnet. Er wurde am 19. November 1891 in Riga geboren, studierte Bergbau und ging als Bewässerungsspezialist nach Turkestan. (Die russische Sprache bekam er als Kind, gewissermaßen als zweite Muttersprache, schon in seinem Elternhaus und auf der Mittelschule von St. Petersburg mit auf den Weg). Im ersten Weltkrieg meldete er sich als Freiwilliger in Kiew, nach 1918 kämpfte er mit der Baltischen Landwehr. — Bald danach trat er in die Siemens-Schuckert-Werke in Berlin ein, wo er lange Jahre wohnte. Vorübergehend war er auch Schauspieler und Zeichner. Spuren des ersteren Berufs konnte man immer wieder bei seinen Leseabenden feststellen, die scharfe Beobachtung des Porträtisten kam auch dem Schriftsteller zugute ..:

Seit den zwanziger Jahren hat Radecki fast pausenlos geschrieben und übersetzt. Ungezählte Zeitungen, Zeitschriften und viele Rundfunksender haben seine Arbeiten gebracht. Wegen ihres Gehalts und ihrer sprachlich geschliffenen Form waren sie in jedem Verlag und bei jeder Zeitung willkommen. In diesen kleinen Feuilletons, Essays, Betrachtungen oder wie immer man sie nennen mag, hat Radecki stets mehr als nur Unterhaltung geboten. „Er plaudert philosophisch und er philosophiert plaudernd", wurde einmal über ihn geschrieben. Jedenfalls gehört er zu den wenigen deutschschreibenden Autoren, die es verstehen, die Tiefe an der Oberfläche zu verstecken.

Seit 1945 lebt Sigismund von Radecki als freischaffender Schriftsteller in Zürich. Um von der Vielfalt seiner Tätigkeit eine Vorstellung zu geben, seien aus den letzten fünf Jahren seines Schaffens einige Publikationen angeführt: Was ich sagen wollte (2. Auflage bei Hegner und gleichzeitig in der Deutschen Buchgemeinschaft). Das ABC des Lachens — ein Anekdotenbuch zur Unterhaltung und Belehrung. Ein Zimmer mit Aussicht — Essays, Skizzen und Übersetzungen (Hegner-Verlag). Als ob das immer so weiterginge — Auswahl aus: Das Schwarze sind die Buchstaben (Herder-Verlag). Im Vorübergehen (Deutscher Taschenbuch-Verlag). Gesichtspunkte (Hegner). Im Gegenteil — Essays (Diogenes, Zürich). An Übersetzungen, neuen und neu aufgelegten, aus dem Zeitraum von 1960 bis 1966, seien angeführt: Anton Tschechow: Drei Schwestern. Drei Einakter von Tschechow: Der Bär, Der Heiratsantrag und Die Hochzeit. Der Kirschgarten, Komödie in vier Akten. Seelchen und andere Erzählungen von Tschechow. Nikolaj Ljesskow, Der Springrubel. Nikolaj Gogol: Die Nase. — Shakespeares Natur- und Menschenbild von George Rylands, deutsch herausgegeben von Sigismund von Radecki. Vom Übersetzen, Essay. — Auf Schallplatten spricht Radecki: Die gerupfte Feder. Eine Betrachtung über das moderne Handwerkszeug des Schriftstellers. Sieben Anekdoten. Merkblatt für den Reiseteufel (Christophorus-Schallplatten, Herder-Verlag, Freiburg). Merkblatt für sich Ärgernde. Wie man Examen macht. Aus dem Buch: Im Vorübergehen (Sprechplatte des Kösel-Ver- lages). Sigismund von Radecki liest eigene Werke: Nadel und Faden. Vom Reisen und vom Zuhause. Auszug aus: Was ich sagen wollte (Deutsche Grammophongesellschaft, Literatur-Archiv, Sprachplatte).

Die hohen Auflagen seiner Bücher ermöglichen es Sigigsmund von Radecki erfreulicherweise, als freier Schriftsteller zu leben. Sein Anekdotenbuch zum Beispiel erschien vor zwei Jahren bei Rowohlt in 16. Auflage mit dem Vermerk: 284. bis 293. Tausend. Daß Radecki seine Beliebtheit als Schriftsteller nicht mit „Gefälligkeit“ erkauft, zeigt neben vielen seiner Betrachtungen und Essays die auf dieser Seite abgedruckte Prosa.

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