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Form und Formgebung

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„Was der Wiener seine Kunst nennt, ist ein Zusammenstellen beliebiger Motive, die er einem Vorlagenbuch, das seinesgleichen zusammengestellt hat, entnimmt. Denn was außerhalb seiner Grenze geschieht, will er nicht sehen oder nur mit Augen, die das aussuchen, was er schon kennt, um mit Behagen festzustellen, daß bei ihm zu Hause alles am schönsten ist. Er steht vor jeder neuen Aufgabe wie ein Wilder, der zum erstenmal die Stadt betritt und vom neuen beginnt. Der Wiener hat sich eine Sammlung undefinierbarer Formen zurechtgelegt, die er aus irgendeinem Grund Heimatkunst nennt, wohl der Heimat eines Menschen, der im Zirkuswagen lebt und Kunst für eine Fremdenattraktion und Liebe für einen Operettenstoff hält.

Die Allgemeinheit dieser Gesinnung überrascht und wäre ihrer Einheitlichkeit wegen fast eine Kultur zu nennen, wenn nicht die Anwesenheit der angeblichen Vorbilder von vornherein dieses Wort verbieten würde. Keine andere (deutschsprachige) Stadt hat eine ähnliche architektonische Vergangenheit selbst bis in das Ende des 19. Jahrhunderts. Denn hier existieren sogar Detailüberlieferungen der Antike und der Renaissance formaler Art, die sich, abgeschlossen durch Völker niederer Kultur, wie auf einer Insel erhalten haben. Diese Völker suchen nun mit Eifer die Kultur einzuholen; die Insel als Geisteszustand ist geblieben." (Josef Frank)

Und wenn er an anderer Stelle sagt: „Der überaus realistische Sinn des Wieners... versteht den immerhin problematischen Zusammenhang zwischen Form und Inhalt überhaupt nicht und wünscht ihn auch nicht kennenzulernen“, so kommen wir dem hier angedeuteten Problem schon näher. Durch gebräuchliche Begriffe wie „Die gute Form“, „Die schöne Form“ entsteht der Eindruck, als ob Form etwas sei, das allein daherspaziert.

Form, besser die sogenannte „gute Form“, wird oft als „Draufgabe“ „Zuwaage“ empfunden, um dem Schönheitsbegrifl, dem Geschmack, besser dem sogenannten „guten Ge schmack“, Genüge zu tun. So steht im einführenden Begleittext zu dieser Schau: „Der Qualitätsbegriff, der lange Jahre von der Solidarität und von den Gebrauchseigenschaften bestimmt war, erfuhr eine sehr wesentliche Erweiterung: die Form." Und weiter: „Der Käufer ist durch die Vielfalt des Angebots verwöhnt, er fordert mit Recht, daß ein Artikel nicht nur praktisch, sondern auch schön sei.“ „Das Gute und das Schöne.“

Wir kommen näher, wenn wir Adolf Loos hören:

„Unter Schönheit verstehen wir die höchste Vollkommenheit. Vollständig ausgeschlossen ist daher, daß etwas unpraktisches schön sein kann. Die grundbedingung für einen gegenständ, der auf das prädikat ,schön' anspruch erheben will, ist, daß er gegen die Zweckmäßigkeit nicht verstößt. Der praktische gegenständ allein ist allerdings noch nicht schön. Dazu gehört mehr. Ein kunsttheoretiker des Cinquecento hat sich wohl am präzisesten ausgedrückt. Er sagt: ,Ein gegenständ, der so vollkommen ist, daß man ihm, ohne ihn zu benachteiligen, weder etwas wegnehmen noch zugeben darf, ist schön. Dann eignet ihm die vollkommenste, die abgeschlossenste harmonie'.“

Das Überflüssige und das Notwendige. Dasjenige, wo — wie viele sagen — die Kunst beginnt beziehungsweise auf hört. Nachdem „Kunst und Gebrauchsgegenstand weiter voneinander getrennt sind als je zuvor, seit deren Produktionsmittel, die früher die menschlichen Hände waren, nicht mehr die gleichen sind“, tritt nun (nach Frank) „als Vermittler der sogenannte Designer auf, der individuell denkt und darum nicht imstande sein kann, selbstverständliche typische Formen zu erfinden. Er hat heute die Aufgabe, ununterbrochen Neuigkeiten zu erfinden, die für kurze Zeit wohl ihren ästhetischen Wert haben können, den sie aber sehr bald verlieren sollen, um neuen Bedürfnissen Platz zu machen und das schönheitsdurstige Publikum dazu ermuntern, etwas Neues zu kaufen: der Designer wird Dekorateur.

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