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Katholische Versuchungen

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Von Versuchungen spezifisch katholischer Art war an dieser Stelle bereits einmal die Rede. Die angesprochene Erfüllungsmentalität ist nicht das einzige Leiden, . das in unserem Glaubensleben diagnostiziert werden kann. Reinahe nahtlos und kaum merklich verbindet sie sich mit einer zweiten Grundhaltung, die öfters anzutreffen ist: der Selbstgerechtigkeit.

Die Ribel bietet uns auch dafür ein hervorragendes Reispiel zur Illustration: Der Gleichniserzähler Jesus stellt die Selbstdarstellung des Pharisäers und des Zöllners im Gebet einander gegenüber (vergleiche Lk

18). „Gott, ich danke dir, daß ich nicht wie die anderen Menschen bin ... und nicht wie dieser Zöllner dort.”

Die Leistungsbilanz des Mannes kann sich sehen lassen, sie ist besser als das geforderte Soll - kein Wunder, daß er sich gut vorkommt und besser als die anderen. Der Zöllner hat nichts dergleichen vorzuweisen; er weiß um all seine Schuld, gesteht sie in und vertraut darauf, daß Gott größer ist als unser Herz.

Es ist bekannt, wie Jesus selbst das Gleichnis deutet: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden” -und umgekehrt. Dem Zöllner ergeht es in der Geschichte nicht deshalb besser, weil er etwa vollkommener ist als der andere. Aber er hat das (Augen-)Maß nicht verloren, und er ist sich bewußt, wo er im Verhältnis zu Gott steht.

Wenig ßibeltexte lassen sich so problemlos aktualisieren wie das angesprochene Gleichnis: Ich gehe sonntags zur Kirche - oder doch zumindest regelmäßig -, ich zahle pünktlich meine Kirchensteuer, ich spende auch der Caritas, früher habe ich am Freitag kein Fleisch gegessen ... „Gott, ich danke dir!” Gott muß eigentlich Freude an mir haben.

Mitnichten! Man muß das Wort vom Splitter und vom Raiken wohl gar nicht mehr bemühen. Selbstgerechtigkeit entlarvt sich selbst. Sie ist am eitlen Eigenlob wie am klaren Urteil über andere erkennbar - dort, wo es jemand ja immer schon gewußt hat.

Wir finden sie im Leben unseres Alltags ebenso wie im Leben unserer Kirche. Da kann anderen Menschen so schnell ihre Rechtgläubigkeit abgesprochen werden, nur mir selbst nicht - wieso denn auch?

Nein, Tugend ist das keine. Es ist eine Versuchung, die der Tugend der kritischen Selbsterkenntnis zuwiderläuft und entgegensteht.

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