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Kupferstich der Gegenwart

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Die zarteste unter allen graphischen Künsten, der Kupferstich, ist länger als ein Jahrhundert fast unbeachtet geblieben. Auch im Bereiche des Schönen macht sich das Robustere breit und läßt das Zartere verkümmern. So war es in der Graphik der Radierung, dem Holzschnitt und später der Lithographie, um nur einige Techniken zu nennen, unschwer gelungen, den Kupferstich zu verdrängen. Der Holzschnitt, die Radierung und besonders die Lithographie konnten, da ihre Herstellung weit weniger Zeit beansprucht als der Stich, in großen Mengen auf den Markt gebracht werden. Ihr inneres Wesen und ihre äußere Gestaltung kam dem breiten, schaulustigen Publikum viel mehr entgegen als der Kupferstich, der überdies von einer gewissen Blutleere angekränkelt war. Der Adel und die höchste technische Fertigkeit, beides Dinge, die nur dem Stich innewohnen, schienen für immer verloren zu sein. Und dennoch ist das Unwahrscheinliche eingetreten: jene Kunst, die soviel Zeit zu ihrer Entfaltung braucht, daß sie die Schnecke zu ihrem symbolhaften Tier erwählte, ist in unseren schnellebigen Tagen zu neuem Leben erweckt worden.

Alfred Coßmann, der unübertroffene greise Meister ist es, der der ungerechtfertigten Zurücksetzung des Kupferstichs ein Ende machte und ihm zu einer würdigen Neubelebung verhalf. Wie groß die dabei zu überwindenden Schwierigkeiten waren, möge aus nur einem Beispiel erhellen, das trotz seiner Merkwürdigkeit nicht allein steht. Noch im Jahre 1915 hatte sich der Verlag, der sechs Stiche Coßmanns zu der Gottfried Kefierschen Novelle „Die drei gerechten Kammacher“ edierte, ausbedungen, daß diese Kupferstiche als Radierungen bezeichnet werden, da das Publikum für Stiche nichts übrig habe. Die zähe Beharrlichkeit Alfred Coßmanns, sich kämpferisch für die Wiederkehr des Stichs einzusetzen, hätte nun kaum genügt, sie auch herbeizuführen. In der klaren Erkenntnis, daß eine strenge Formgebung, wie sie Coßmann forderte, nur durch den Stich möglich sei, niemals durch die Radierung, wendete er sich von der letzteren sogar unter Verzicht des unzweifelhaften Anreizes, den sie kl ihrem malerischen Habitus aufweist, ab. Um aber dem Stich zum Erfolg zu verhelfen, war ef-'as anderes vonnöten, das Alfred Coßmann in genialer Einfühlung empfand: ein Themenwechsel und Hand in Hand gewisse Änderungen in der technischen Durchbildung. Der Kupferstich verflossener Tage hatte einen mehr illustrativ-dekorativen Charakter. Coßmann ließ an dessen Stelle die Durchdringung mit geistigem Gehalt treten. Besonders das Exlibris und die festliche Gebrauchsgraphik schienen ihm geeignet, d;e ausgefahrenen Geleise zu verlassen und eine weniger billige Konzeption zu propagieren. Er blieb hierin aber kein platonischer Heerrufer, sondern erfüllte in erster Linie selbst die hochgestellten Forderungen. Und mit welch großer Meisterschaft er dies tat! Welche Uberfülle an köstlichen und kostbaren Einfällen, deren gewaltiger Strom nur durch künstlerische Selbstzucht zu bändigen war! Wir treten in eine ganz andere Welt, wenn wir die Betrachtung des gestochenen Werks von Alfred Coßmann aufnehmen. Die Kühle, die uns aus den Blättern der Vergangenheit zumeist anwehte, ist einer behaglichen Wärme, die sich meist auf eine mehr illustrative Gestaltung einschränkende Nüchternheit einem beglückenden Reichtum an Gedankengut gewichen.

Auf dem Gebiete der Buchillustration ist Coßmann gleichfalls eigene Wege gegangen. I ~ider hat er nur in zwei Fällen richtungweisend dargetan, wie Illustrationen beschaffen sein sollen, wenn sie auf Originalität Anspruch erheben wollen: in den Stichen zu den Novellen Gottfried Kellers „Die drei gerechten Kammacher“ und „Der Landvogt von Greifensee“. Coßmann ersetzt nicht am Ende das Bild durch das Sinnbild, läßt aber alles Hergebrachte hinter sich und verschmäht alle schale Handgreiflichkeit. Die Suche nach einer ursprünglichen Darstellung hat dabei nicht in die Irre geführt, sondern auf einen Gipfel, dessen Erreichung gewiß nicht leicht ist, für die jüngere Künstlerschaft aber zu den erstrebenswerten Zielen gehören müßte. Es ist die seelische Verschmolzenheit mit dem Gegenstande, das förmliche Durchtränktsein mit der Dichtung, was Coßmann selbst zum Dichter werden läßt.

Des Meisters freie, also thematisch ungebundene Graphik weist außer zwei köstlichen Spruchmappen vortreffliche Porträtstiche auf, Bildnisse, die der Farbe, also des wirksamsten Mediums, entraten müssen und die trotz dieser nachteiligen Beeinträchtigung zu den allerbesten Repräsentanten der Porträtkunst gehören.

Alfred Coßmann hat vor sechs Jahren anläßlich seines siebzigsten Geburtstages den Ausspruch getan: „Wenn ich nun meinen Weg überblicke, glaube ich, doch sagen zu dürfen, dem Stich etwas von seinem altberühmten Ansehen, das er seinerzeit genoß, zurückerobert zu haben.“ Und er fügte hinzu: „Allerdings wenig im Vergleich zu seiner Blütezeit im 16. Jahrhundert. Gleichzeitig kommt die Erkenntnis, daß ich vieles hätte besser machen sollen.“ In dieser Resignation liegt eine Bescheidenheit, die um so rührender ist, als der große Meister eine Reihe der besten Stecher der Neuzeit herangebildet hat, so Ranzoni d. J., Teubel, Woyty-Wimmer, Schimek, Franke und Zenz'iger, um mar einige zu nennen. Coßmanns beherrschender Einfluß hat aber nicht das künstlerische Profil seiner Schüler verändert oder dem seinen sklavisch anzugleichen versucht. Ihre Eigenart ist ihnen verblieben, doch durch Alfred Coßmann sind sie das geworden, was sie sind: die Hüter der Geheimnisse um eine wunderbare Kunst und deren demütige Diener.

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