Pointierter Dialog über die Grundsätze der Gesellschaft

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Die Romantiker, ohnehin überzeugt von der Fragwürdigkeit der Wirklichkeit, wie wir sie kennen, waren fasziniert von der Idee des künstlichen Menschen. Sie bringt nämlich schlüssig zum Ausdruck, wie wir unserer Anschauung nicht trauen dürfen, weil sich hinter der Erscheinung ein Geheimnis verbirgt. Hinter dem Sichtbaren lauert das Meer des Mysteriösen, was jeden Materialisten zur Verzweiflung bringen muss. Das kann etwas Mystisches, Religiöses, Spirituelles sein oder, wenn die Vernunft damit nicht mithalten mag, etwas der Wissenschaft bislang noch nicht Zugängliches.

Oskar Panizza (1853-1921) greift das Motiv auf und wendet die Ästhetik der Schauerromantik auf die Zeit vor der Wende zum 20. Jahrhundert an. Der Erzähler kommt kurz vor zwölf Uhr nachts -das ist sowieso die Zeit, in der das Unheimliche und Unerklärliche Hochkonjunktur hat -nach einem Tagesmarsch vor einem riesigen Gebäude an, in dem er Unterkunft zu finden hofft. Es öffnet ihm ein "schwarzes kleines Männchen mit freundlichem, glattrasiertem Gesicht", was den romantikerfahrenen Leser sofort misstrauisch stimmen muss. Der verspätete Wanderer bekommt eine Führung durch das Haus, das ihm das Männchen als "Menschenfabrik" vorstellt. Damit ist es um den Erzähler geschehen, der sofort moralische Bedenken ins Treffen führt und mit seinen philosophischen Begründungen beim Direktor des Unternehmens, der unter ökonomischen Gesichtspunkten argumentiert, auf Ablehnung stößt.

Der Idealist und Schwärmer gegen den Kapitalisten, das ergibt eine Konfrontation, die für Kompromisse nicht geeignet ist. Es werden Grundsätze einer Gesellschaft verhandelt, wenn Moral mit den Ansprüchen der reinen Geschäftsidee nicht zu vereinbaren ist. Aber Vorsicht: Oskar Panizza ist ein ironisch geschulter Autor, der seine Erzählung in einer überraschenden Pointe aufgehen lässt. Vom Schluss her gesehen bekommt das Ganze noch einmal einen völlig neuen Charakter, was dem Anspruch der Romantiker geschuldet ist, es niemals bei einer einzigen denkbaren Wirklichkeit zu belassen. Wir sind einem bestechenden Erzähler auf den Leim gegangen, der mit falschen Tatsachen handelt, damit werden wir der Leichtgläubigkeit überführt.

Die Erzählung ist flüssig und vergnüglich zu lesen, ihr Alter von 129 Jahren sieht man ihr überhaupt nicht an. Dass man daraus auch etwas lernen kann, erweist sich als angenehmer Nebeneffekt. Schön, dass diese Ausgabe auf einen Autor aufmerksam macht, um ihn nicht als reinen Fall für die Literaturgeschichte abzutun.

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