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Unsere „Grauen Häuser”

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Die Arbeitsgemeinschaft der Elternvereinsobmänner an den Wiener Mittelschulen hat in den letzten Tagen ein Flugblatt an die Eltern verteilen lassen, in dem neuerlich und in eindringlichen Worten auf die unvertretbare Schulraumnot an den Mittelschulen hingewiesen wird.

Man ist, wenn man die Budgetdebatte liest, erstaunt über die Großzügigkeit, mit der da zu Lasten des kommenden Jahres und von Einnahmen, die man noch gar nicht hat, Forderungen aufgestellt werden. Kleinlicher ist man in Sachen des Kulturbudgets. Eine Zeit hindurch gab es sogar ein Schulbauverbot. Die Mittelschule in Leoben ist nun seit 98 Jahren in einem „Notquartier”. Jüngst wäre das Gebäude den Schülern und Lehrern fast über dem Kopf zusammengestürzt. Sicher hätte man — wenn es zu einer Katastrophe gekommen wäre — einen Schuldigen gefunden. Keinen Großen, einen kleinen Baureferenten vielleicht…

Man hat nach 1945 eine Reihe von repräsentativen Amtsgebäuden aufgeführt. Das war notwendig und wurde auch von den Verantwortlichen und den „Bewilligern” im Hohen Haus eingesehen. Gqnz und gar nicht so großzügig war man aber, wenn es um die Frage der Erbauung von Mittelschulen und Hochschulen ging. Die wenigen Ausnahmen bilden keinen Gegenbeweis.

Wenn man die Schulbauten „unterentwik- kelter”, Völker sieht, etwa der Aegypter oder der Mexikaner, muß man sich fragen, ob nicht in einigen Jahren wir zu den Unterentwickelten gehören werden. In Oesterreicn ist Kultur etwas, dessen man sich bei festlichen Anlässen mit belegter Stimme rühmt. Offensichtlich aber, ohne sich viel Gedanken darüber zu machen, daß Kultur nicht museal ist, sondern wachsen, mitwachsen muß. Zum Wachsen gehören aber auch sachliche Voraussetzungen, wie lichte, große Klassenräume, Turnsäle, Unterrichtsmittel. Sollen die letzteren etwa im Gegenstand „Physik” Leihgaben des Technischen Museums sein?

Den Bewilligern wäre daher anzuraten, anstatt Cocktailparties und Eröffnungen auch einmal dem Unterricht in einer beliebigen Wiener Mittelschule beizuwohnen, etwa im Piaristen- gymnasium, oder die Wendeltreppe im letzten Stock der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt zu besteigen (diese Anstalt wird nun endlich neu gebaut).

Man wird es den Beamten, die nun vielfach in schönen Räumen ihren Dienst versehen, nicht neiden. Denn das, was „Betriebsklima” heißt, soll auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung herrschen. Unverständlich ist es aber, wenn, angesichts der gebetenen finanziellen Möglichkeiten, die Mittelschuljugend und auch die Hochschüler gezwungen werden, einen großen

Teil des Tages (an den technischen Mittelschulen bis zu zehn Stunden) in finsteren, zu kleinen und geschmacklos eingerichteten Räumen zuzubringen und Milieuerfahrungen zu gewinnen, die ihr Leben und ihren Verhaltensstil nachdrücklich prägen.

Jedenfalls ist es unvermeidbar — das ist die Forderung der Elternvereinsobmänner —, eine Art „Sonderbudget” für den Schulbau aufzustellen. Schluß mit dem Brauch, daß innerhalb einer Wohlfahrtsgesellschaft die Jugend ihr Schulerlebnis und ihr Wissen mitunter in Häusern und Räumen gewinnt, die man Strafgefangenen nicht zumuten würde.

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