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Schulen - so oder so?

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Es gibt vieles Schöne in der grünen Steiermark, aber auch manchen wunden Punkt. Das gilt nicht nur allgemein, sondern ebenso im besonderen für das Schul- und Erziehungswesen. Vieles Schöne — das sind die zahlreichen neuen Gebäude, die in den letzten Jahren errichtet worden sind, wo alte zerschlagen wurden oder zu klein geworden waren, wo junge Siedlungen auch neue Schulen erforderten oder die gestiegenen Ansprüche an eine gediegene Ausbildung Berücksichtigung verlangten. Aber nicht überall sind diese Forderungen erfüllt worden. Gerade die Steiermark muß wohl die tristesten Verhältnisse im Schulwesen in Kauf nehmen, wie sie in dieser Form in kaum einem anderen Bundesland zu finden sind.

In dem Augenblick, da an höchster Stelle die Anteile der einzelnen Interessenten am Gesamtkuchen des kommenden Staatshaushaltes ausgehandelt werden, ist es doppelt wichtig, darauf hinzuweisen: Ueberau dort, wo die Gemeinden selbst die Initiative ergriffen und mit Hilfe des Landes unter schwersten Opfern ihren Kindern neue Schulen errichteten, stehen schöne, moderne Gebäude, die Lehrern und Schülern den geeigneten Rahmen für ihre Arbeit geben. Ueberau dort aber, wo durch die Aufgabenteilung im Unterrichtswesen der Bund zuständig .ist, da bieten,sich,.dem„Be&ycher Zustände, unter denen eine gedeihliche Arbeit praktisch unmöglich' erscheint. Daß trotzdem auch hier versucht wird, unter Aufwand eines Vielfachem an Nervenkraft das Bildungsziel zu erreichen, und dann auch anerkennenswerte Erfolge erzielt werden, gehört zu den Erscheinungen des „österreichischen Wirtschaftswunders“.

Da steht auf der einen Seite etwa die Volksund Hauptschule in Kindberg, nach kriegsbedingten Schwierigkeiten in den letzten Jahren mit einem Aufwand von sechs Millionen Schilling erbaut. Oder die supermoderne, doppelseitig belichtete Schule der neuen Siedlung Diemlach bei Kapfenberg, die vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung alles unter einem Dach vereinigt. Sie kostete 3,5 Millionen Schilling. Helle, freundliche Räume, saubere Grünanlagen, Sportplätze und Turnsäle — ein Vergnügen für die Kinder, dort zu lernen, eine Beruhigung für die Eltern, die Kinder in solcher Schule zu wissen. Insgesamt haben die steirischen Gemeinden in zehn Jahren eine Viertelmilliarde Schilling in ihre Pflichtschulbauten und damit in die Zukunft investiert.

Wenn die Kinder dann aber in die Mittelschule überwechseln sollen, stehen sie vor großen Problemen. Im ganzen Raum zwischen Neunkirchen und Bruck an der Mur gibt es keine Möglichkeit. Das Realgymnasium in Bruck aber wurde vor fast 50 Jahren für 300 Schüler 'erbaut -es umfaßtheute die dreifache Anzahl-und muß'jährlich eine Reihe vörf Schülern wegen Platzmangels abweisen. Sie werden dadurch auf eine Lebensbahn gedrängt, die der Entwicklung ihrer Anlagen keine Möglichkeit läßt — in einer Zeit, da die Wirtschaft mehr und mehr über einen Mangel an Führungskräften klagt. Nun haben sich in Mürzzuschlag die Gemeinden der weiteren Umgebung entschlossen, von sich aus den Bau einer Mittelschule in Angriff zu nehmen. 15 Millionen Schilling sollen aufgebracht werden als Kredite, bis der Bund in der Lage ist, die neue Schule in Eigenregie zu übernehmen.

Nicht besser sind die Verhältnisse in Graz, wo seit dem Krieg das 5. Realgymnasium, das 2. Gymnasium und das Internat der Marienbrüder im früheren Schulhaus des Ordens zusammengepfercht hausen müssen. 13 Jahre nach Kriegsende ist noch kein Termin abzusehen, an dem die Kinder nicht mehr auf Wechselunterricht angewiesen sein werden, an dem sie nicht mehr in dumpfen Umkleideräumen bei künstlichem Licht sitzen müssen, an dem der naturwissenschaftliche Unterricht nicht mehr nur nach dem Buch, sondern wieder mit Experimenten erteilt werden kann.

Chemieunterricht ohne Möglichkeit, selbst zu probieren? Acht Jahre lang laufen die Kinder durch eine Schule, die nicht die primitivsten Anforderungen an räumliche Ausstattung erfüllt, durch eine Schule, wo selbst die größte Aufopferung der Lehrer nicht mehr helfen kann — und mancher geht dann weiter an die Montanistische Hochschule in Leoben, die gerade in der so grundlegenden Ausbildung in Chemie ebenfalls alles zu wünschen übrigläßt, weil seit Jahrzehnten das Finanzamt die Institutsräume besetzt hält. Wie sollen dann die Männer ausgebildet werden, ohne die unsere Wirtschaft nie konkurrenzfähig ble'ben kann?

Ohne die Initiative des einzelnen, der Eltern, der Lehrer, der Gemeinden, der Länder wird nie ein gesundes Schulwesen entstehen können, egal, ob es sich um Kindergärten oder Hochschulen handelt. Für sie Opfer zu bringen, wird auch nie rergebens appelliert werden. Alle diese Initiativen und Opfer aber müssen vergeblich bleiben, wenn nicht an höchster Stelle endlich die Priorität des Kulturbudgets anerkannt und auch durch die Tat bestätigt wird. Ohne die Schüler von heute, die Studenten von morgen werden wir übermorgen weder Straßen bauen noch Renten zahlen können.

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