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Was heifit christliche Literatur?

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Ich bin mir dessen nicht so sicher, daß Schreiben - dem berühmten Satz entsprechend — sich selbst hingeben heißt. Um darüber zu entscheiden, müßte man sich selbst besser kennen, was ja nicht immer von großem Interesse ist. Ganz gewiß aber bedeutet Romane schreiben, erdichtete Wesen hinzugeben, auszuliefern, die aber zweifellos den Leser nur dann ansprechen, wenn sie anderen, diesmal sehr wirklichen Wesen ähnlich sind, die er seit langem kennt oder die, was noch häufiger geschieht, nur einen Augenblick wahrgenommen, doch im Durtkel verblieben oder auch halb erraten wurden, und die im Geheimen weiterhin Wenigstens die Frage ihres Blickes stellen.

Hat sie der Romanschriftsteller gewollt? Oder gewählt? Er hat nichts anderes getan als der Leser. Gewisse Blicke sind ihm unvergeßlich. Was ihn vorerst beschäftigt, ist nicht etwa Antwort zu geben, sondern ihre Sprache zu begreifen.

Wenn die Welt von atwortlosen Fragen überläuft, dann deswegen, weil sie voll von Antworten ist, die nicht erst auf Fragen warten.

Wir berühren hier einen der Irrtümer der sogenannten christlichen Literatur. In Wahrheit gibt es nur eine christliche Literatur: die der Propheten. Sie ist eine Literatur der Antwort,der unermeßlichen Antwort Gottes. Er aber kennt alle Fragen.

Die Literatur der Christen gehört einer anderen Ordnung an. Ein Mann und eine Frau lieben einander und ein Sünder wird aus ihrem gesegneten Fleisch geboren. Ohne diese erste Geburt kann es keine Wiedergeburt geben, und nur unter eftr Bedingung, zuerst zum Leben geboren zu sein, kann in der Taufe die ganze Wirklichkeit dargeboten werden.

Und ebensowenig wie jemand einen Erwachsenen gewaltsam taufen wird, darf ein Schriftsteller erdichtete Menschen, die Gott frei gewollt hat, in Gottes Wege ewingen. Ist auch diese Freiheit nur erdichtet, so findet sie ihre Sinngebung immer in der wirklichen Freiheit der lebenden Menschen.

So viele Menschen, so viele Bruchstücke der Welt, die emporzuheben sind in das Licht, in dem die Antwort gegeben werden könnte. Der Schriftsteller gleicht hier dem Bergmahn. Aus den Tiefen des Abgrunds der Menschen, unter andere Arbeiter gemischt, die Wie er in der Finsternis werken, fördert er das Erz an den Tag. Das Licht ist die Gnade.

Nichts, was nicht vergänglich wäre: Angst oder Freude, Leid oder Glück, Liebe oder Verlassenheit, auch die Unschuld und das Gewissen, auch die Geduld und die Auflehnung. Etiam peccata, hat Claudel mutig geschrieben und die Unterschrift des hl. Augustinus daruntergesetzt.

Etiam peccatores, sagt der Romanschriftsteller, denn es sind nicht die Handlungen an sich, die ihn betreffen, sind sie doch, schon versteinertes Menschliches, etwas anderes geworden als der Mensch. Den Richtern obliegt es, zu untersuchen, zu verhandeln und Urteil zu sprechen. Der Roman aber trägt uns über das Gericht hinaus. Nicht etwa, um es abzulehnen, sondern um uns dort aufs Spiel zu setzen.

Es gibt also nur eine menschliche Literatur, eben die Literatur, die nichts vom Menschen verneint und auch nicht den Menschen. Nichts von dem, was sie sind, und auch nichts von dem, was sie sehen. Auch die Erscheinungen gehören mit zur Erfahrung. Einen Menschen verstehen, heißt, mit seinen Augen sehen. „Wir wissen ja, daß die ganze Schöpfung mitseufzt Und in Geburtswehen liegt.“ Das sagt nicht etwa ein Romanschriftsteller, sondern der größte aller Schriftsteller, die uns die göttliche Antwort geben, der heilige Paulus. Der Christ, der „nicht sieht, was er hofft, denn was einer sieht, da hofft er nicht mehr“ (wie der heilige Paulus ebenfalls sagt), wie Sollte er nicht Btuder und Zeuge aller jener sein, die in Wehen leben urtd nicht wissen, zu welcher Geburt? Ist er Schriftsteller, dann wird er ihre Wehschreie ausstoßen, wird er unablässig ihre Fragen aufwerfen, wie sie aus ihrem Innersten entspringen. Die Mauerri, die die Laute ersticken, nein, die darf er nicht noch verstärken, sondern er muß sie, im Gegenteil, niederreißen, sollte auch der rauhe Wind nun jene, die nur in ihrem Schutze schreiben konnten, vor Kälte erstarren lassen.

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