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Was machen wir mit Johannes?

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In wenigen Wochen beginnt die vierte und voraussichtlich letzte Session des Konzils. Sie wird die entscheidendste sein. In ihr wird sich beweisen, ob und wieweit dieses Konzil imstande war, den Weg zu gehen, den ihm Johannes weisen wollte. Es gibt ein böses Wort, das sagt, nichts auf der Welt »ei so tot wie ein toter Papst. Johannes aber ist nicht tot, er lebt in seinem Werk, er lebt vor allem in den Herzen von Millionen Menschen, die durch ihn erst wieder die Kirche sehen gelernt haben. Die Frage im Titel dieses Beitrages unseres polnischen Mitarbeiters stammt nicht von ihm, sondern von Kardinal Lercaro. Er stellte sie, und er hat sie auch beantwortet. Die Kirche und die Welt brauchen das große Herz, den Mut und das Vertrauen des Papstes. Wir können diesem großen Papst nur so begegnen, wie Johannes der Welt begegnete: mit Liebe. Die Redaktion

Johannes XXIII. rief in den Menschen Liebe, Bewunderung, Vertrauen wach in einem unvergleichlichen, wohl seit Jahrhunderten nicht mehr dagewesenen Maße. Die Menschheit, vereint in der Technik und vereint in der Angst vor der Vernichtung, erkannte in ihm mit einmaliger und erstaunlicher Einmütigkeit die Hoffnung unseres Jahrhunderts, die Verkörperung all jener Eigenschaften, Gedanken und Sehnsüchte, deren Mangel so allgemein empfunden wurde, daß man an ihrer bloßen Existenz zweifelte.

In unserem Jahrhundert fehlt es nicht an überdurchschnittlichen, beliebten, sympathischen, witzigen, achtungsgebietenden Persönlichkeiten. Es fehlte auch nicht an Unternehmungen großen Ausmaßes, an blendenden Konzeptionen der Verbesserung der Welt und bewunders-werten humanitären Aktionen. Und dennoch nahm niemand und nichts in den Herzen so viel Platz ein, weckte niemand und nichts so viel Gefühle und Hoffnungen wie dieser Papst.

Bereitwillige Aufnahme

Johannes XXIII. nahm in den Herzen und in den Vorstellungen unserer Zeitgenossen einen leergewordenen, verödeten Platz ein. Verödet durch die grauenhaften Erfahrungen des letzten Krieges und die Geschichte der Nachkriegsjahre, die weit entfernt ist von der Vision einer wiedergeborenen Menschheit. Pragmatismus und Skepsis, Macchiavellismus und Argwohn — das sind die Elemente der Mentalität derjenigen, die die Vernichtung von Millionen Menschenleben mitansehen mußten und das Aufblitzen der Explosion der Atombombe. Und sie bekamen zu hören, und sie nahmen es als glaubhaft hin, daß die absolute, im Einklang mit der natürlichen Moral stehende Verdammung dieser Tatsachen immöglich ist, daß es Belange gibt, die die Straflosigkeit rechtfertigen und das Spiel mit dem Feuer begründen.

Die natürliche Reaktion des gesunden moralischen Empfindens kam in dem Aufschrei zum Ausdruck: „Nie wieder“ und „Ein Verbrechen kann nicht ungesühnt bleiben“. Diese Regung wurde jedoch durch ein sophistisches, kleinmütiges, ausgeklügeltes „Ja, aber“ erstickt... Solcher „Aber“ gab es zu viele, so verschiedene, geschickt verknüpfte, daß es schien, unter ihnen gehen für immer die Reste des Glaubens, der Hoffnung und Liebe verloren, sogar des Verstandes, obwohl nicht er jenes „Aber“ diktierte. Und dennoch lebte in den Herzen die Sehnsucht nach einem Großen, der mit mutiger Einfachheit das Schwarze schwarz und das Weiße weiß nennen würde, der, für den ja ja wäre und nein nein, ohne Halbdunkel.

Mut zur Einfachheit

Johannes XXIII. hatte den Mut zur Einfachheit. Er wagte es, mit großmütiger Schlichtheit zu sagen, was alle fühlten und an was sie nicht glauben konnten, verwirrt vom Chaos der kurzlebigen Belange und Interessen: daß die wichtigste menschliche Angelegenheit der Friede und das wirksamste Heilmittel für die Welt die Liebe sei.

Der Universalismus, die allumfassende Humanitas Johannes' XXIII. war nicht nur eine Konzeption seines Geistes oder eine bloße Herzens-regung. Auf eine erstaunliche, nie angetroffene Weise verband sie sich mit seiner ganzen Persönlichkeit, war er selbst.

Dieser Heilige Vater erwuchs aus dem Volk und blieb ihm auf eine einzigartige, wundersame Weise treu. Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn ein Sohn des Volkes zu dem Volk als Priester, als Dorfpfarrer zurückkehrt. Aber Johannes XXIII. war ein Diplomat, ein Kirchenfürst, ein Mann auf dem Gipfel. Er ging den ihm bestimmten Weg bis zum Thron des Statthalters Gottes, fügte sich seiner Bestimmung, verließ das Amt nicht, um dorthin zu entweichen, wo sein Dach ist und die letzte Zuflucht.

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