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Digital In Arbeit

Wege in die Zukunft

19451960198020002020

MENSCHHEIT MORGEN. Von Dennis Gabor. Aus dem Englischen übersetzt von Alfred v. Zeller, 240 Seiten. Alfred-Schwarz-Verlag, Bern-München-Wien, DM 17.80.

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MENSCHHEIT MORGEN. Von Dennis Gabor. Aus dem Englischen übersetzt von Alfred v. Zeller, 240 Seiten. Alfred-Schwarz-Verlag, Bern-München-Wien, DM 17.80.

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Denkt man anfangs beim Lesen: Schon wieder ein Wissenschaftler, den das, was er versteht, zu glauben verführt, er verstünde auch, was er nicht versteht, ärgert man sich einige Seiten weiter, weil „das deutsche Volk den Krieg gewünscht hat“, während sowohl „die Amerikaner als auch die Russen friedliebende Völker sind“. Man will es nicht glauben, daß dies die Meinung eines gebürtigen Ungarn ist, wenn es sich bei ihm auch um keinen Flüchtling von 1965 handelt. Man ist später noch öfters versucht, zu protestieren, liest aber, ohne auch nur eine Fuß

note auszulassen, gewissenhaft weiter, bis man schließlich merkt, daß das ja eine äußerst spannende Lektüre ist. Vor allem kommt das wohl davon, daß dieser Physikprofessor nicht nur interessante und zuweilen überraschende Behauptungen aufstellt, sondern auch das Rüstzeug besitzt und anwendet, um sie uns zu beweisen. Insbesondere kommt dies den Kapiteln zugute, die sich mit der technischen Zukunft der Menschheit befassen. Man weiß darüber doch nicht soviel, als man dachte. Die Schwierigkeit der atomaren Rohstoffbereitung zum Beispiel

kommt einem erst hier so recht zu Bewußtsein.

Nun ist dieses Buch ein optimistisches, insofern sein Verfasser darin nicht der heute üblich gewordenen Meinung Ausdruck gibt, daß es überall dort zu Katastrophen kommen werde, wo solche vielleicht sehr gut möglich sind. Aber auch die Zukunft, die er uns zugedacht hat, hat nur wenig Verlockendes. Der Gedanke, daß dereinst die mit so großer Mühe geeinte Menschheit auf Gedeih und Verderb irgendwelchen, wenn auch noch so hoch begabten Führerpersönlichkeiten ausgeliefert sein wird, die für sie die Zukunft erfindet, um sie da hineinzuführen, muß einem ja Grauen machen. Wie da der Durchschnittsmensch so und soviel Glück zugewiesen bekommt in Gestalt von Freiheit und Konsum, während der Hochbegabte sich der Arbeit in die Arme wirft, dieses Bild des heraufkommenden Hobbyzeitalters ist so trostlos, daß einen die Erinnerung an eine im Schweiß ihres Angesichts arbeitende Menschheit geradezu aufheitert. Anscheinend können wir uns der so teuer errungenen Vorteile nicht so recht

freuen, wenn wir wirklich alle sie genießen. Mit Wehmut denkt man an den „Aufstand der Massen“ bei Ortega, der einem dagegengehalten harmlos vorkommt. Die Wahrheit zu kennen — und wer wollte bezweifeln, daß das Buch die Wahrheit sagt — erscheint auch dann unerträglich, wenn sie uns ausnahmsweise günstig ist. Warum sollten wir auch nicht glauben, daß nicht die Atombombe oder die Überbevölkerung unüberwindliche Weltprobleme darstellen, sondern daß es jene zukünftige Arbeitslosigkeit ist, die, obgleich sie nichts zu tun hat mit dem, was heute unter dem Begriff verstanden wird, dennoch nicht weniger unangenehme Aspekte zeigt.

Denn es wird im Zeitalter der Elektronik dann nur noch der überdurchschnittlich Begabte (mit einem Intelligenzquotienten über 110) Arbeit finden. Daher muß diese wer weiß schon wie nahe Zukunft nicht nur für dauernde sinnlose Verschwendung ihrer Massenproduktionen sorgen, sondern auch, durch Anwendung des Parkinsonschen Gesetzes — Arbeit läßt sich wie Gummi dehnen, um die Zeit auszufüllen, welche für sie zur Verfügung steht —, auch für genügend viel sinnlose Arbeit.

Die Massen müßten dieses Buch kaufen und lesen. Das Hasten nach einer solchen, wie uns scheint, unmenschlichen Zukunft würde dadurch zweifellos aufhören. Denn man wird es immer noch schöner und menschlicher finden, wenn, wie die Ärzte berichten, die Menschen in eine Krankheit flüchten, um sich ein wenig auszuruhn, um zu sich selbst zu kommen, als daß sie in sinnloser Arbeit versuchen müssen, sich selbst zu vergessen.

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