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Zwischen den Welten — zwischen den Zeiten

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Die Ausgabe dieser größtenteils sdion früher veröffentlichten, jedoch um die unbekannten „Fragmente“ und „Anmerkungen“ vermehrten Manuskripte Franz Werfete ist der bemühten Sachverwalterin seines Werkes und Erbes, seiner Gattin Alma Maria Mahler- Werfel, zu danken.

Die Erzählungen:

„Der Tod des Kleinbürgers“ (erstmals erschienen 1927, wie die folgenden in Wien, Paul-Zsolnay-Verlag),

„Geheimnis eines Menschen“ („Die Entfremdung“, „Geheimnis eines Menschen“, „Die Hoteltreppe“, „Das Trauerhaus“, 1927) und

„Kleine Verhältnisse (geschrieben 1927, erschienen 1930) wurden zusammen mit den Romanen „Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig“ und „Abituriententag“ in den Sammelband „Twi- light of a World“ (New York, Viking Press, 1937) in englischer Übersetzung veröffentlicht. Zu den einzelnen Werken hatte Werfel für diese Ausgabe erklärende Einführungen (hier: „Anmerkungen“) geschrieben, die in deutscher Sprache nunmehr zum ersten Male wiedergegeben werden.

Einem glücklichen Zufall, der sich aus einer der Suche nach verschollenem Werfel-Material bestimmten Wiener Reise Alma Maria Mahler- Werfels im Herbst 1947 ergab, ist es zuzuschreiben, daß vier verloren geglaubte, hier abgedruckte „Fragmente“ wieder aufgetaucht sind. „Die Hoffnung“, fügt der Herausgeber hinzu, „daß noch weiteres wieder ans Licht kommen wird, darf noch nicht aufgegeben werden.“

Die hier abgedruckten sechs Fragmente tragen die Titel:

„Bozener Tage“,

„Der Schauspieler“,

„Der Erfolg“,

„Die Bestattung des Beins“,

„Die Ehe jenseits des Todes’ und „Pogrom“.

Werfels „zwei Welten“, die den Erzählungsbänden der Gesammelten Werke den Titel gegeben haben, sind nicht eindeutig bestimmt: der Begriff charakterisiert aber deutlich das Schwankende, Suchende, Gegensätzliche in seinem schöpferischen Werk.

Man denkt zuerst an das Reale und Irreale, jene Gratwanderung über Abgründe, Geheimnisse und Abwege der Seele, die tatsächlich Werfels Epik ganze Strecken weit beherrscht: in dem großartigen Narkosetraum einer Frau („Die Entfremdung“), in dem Doppelleben eines Künstlers und Bildfälschers („Geheimnis eines Menschen“), in der dämonisch zum Absturz lotkenden „Hoteltreppe’, in den Visionen der „Bozener Tage“, in dem Fragment „Der Schauspieler“, das im Manuskriptheft den nicht rein ironischen Untertitel trägt „Eine mehr als spiritistische Geschichte“, und in „E(ae Ehe jenseits des Todes“.

Zwei sCharf getrennte Welten .erspürt Werfel auch in der Epoche vor und nach dem Zu- samipenbruch des alten österreichischen Reiches. An die Bruchstelle (1914) setzt er die makabre, nicht sehr taktvolle Ironie der Erzählung „Das Trauerhaus’ (gemeint ist das

Gegenteil!). Um die Jahrhundertwende spielt das soziale und erotische Erlebnis eines Zwölfjährigen in Prag („Kleine Verhältnisse“), das der Dichter in den „Anmerkungen“ mit den bezeichnenden Sätzen kommentiert:

„Doch keine Angst! Dieses Erwachen endet mit keiner allzu tragischen Verwicklung, die für Gesundheit und Zukunft des Jungen bangen ließe. Wir stehen ja noch ganz zu Anfang unserers Jahrhunderts. Eine recht milde Luft weht. Es wetterleuchtet zwar schon, aber es donnert noch nicht.“ Nach dem weltgeschichtlichen Gewitter aber, in der Inflationszeit der zwanziger Jahre, überwindet „Der Tod des Kleinbürgers“ in einem heroischen Ringen Abstieg und Armut. Es ist Werfels reifste Erzählung, die inzwischen zum Lesestoff in unseren Mittelschulen, ja zum eisernen Bestand unserer klassischen Novellenliteratur geworden ist.

Mit Ergriffenheit folgt man schließlich Werfels schwerem und konfliktvollem Ringen um eine Klärung seines religiösen Weltbildes — auch hier keine Lösung, kein letzter entscheidender Schritt, sondern immerzu Tasten, Zweifel, Zaudern, kühle, rechnerische Einwände der Vernunft und zugleich Verströmen in phantastische Gesichte und Träume. Vielleicht charakterisiert nichts so sehr Werfels Zwiespältigkeit in dieser Haltung, als daß zwei Fragmente, die kaum mehr ate zehn Jahre auseinanderliegen, seine tiefe Bindung zum Judentum („Pogrom“) und seinen Kampf um die katholische Ideenwelt („Bozener Tage“) spiegeln. In dem letzteren steht das erschütternde Gespräch Werfels am Krankenbett mit zwei geistlichen Schwestern:

„Ngn, was soll ich tun?“

„Es gibt doch nur einen Weg!“

„Welchen?“

„Wenden Sie sich der Kirche zu!“

„Die Kirche reicht für meinen Verstand nicht mehr aus. Ich verurteile sie. Sie ist eine Feindin Gottes. Vom Menschen erschaffen, um über’ den Menschen mächtig zu sein.“

„Gott hat sie ate Hinterlassenschaft seines Wandels eingesetzt.“

„Wer verbürgt mir das?“

„Seine Schrift.“

„Wodurch?“

„Durch das Wort! Petrus, du bist der Felsen…“

„Genügt Ihnen überlieferte Schrift auf Pergamenten?“

„Wodurch soll denn das Wort festgehalten werden, wenn nicht durch Schrift?“ „Ich kann nicht gläubig sein.!“ „Dann würden Sie auch nicht lebendig freudig und schmerzlich sein können.“ Hierata trat auf mich zu, legte mir die Hand auf den Mund und sah Schwester Rosamunde mit angstvollem Blick an. (Fortsetzung folgt, wenn Gott es will.)

Er wollte es. Trotzdem wurde das Gespräch nicht mehr vollendet. Trotz des drängenden Aufrufes der Bernadette … Das Tor fiel zu, ehe Werfel hindurchschritt. Nun liegt das Bemühen und Suchen allein auf der Waagschale. Wie leicht, wie schwer es wiegt — Gott weiß es.

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