Gegenaufklärung in der Literatur?

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Die Fragen, die Anton Thuswaldner im November-Booklet aufwarf, sind zu interessant, um von Personalisierungen zugedeckt zu werden.

Natürlich ist Aufklärung ein historischer Epochenbegriff, aber er bezeichnet auch eine Haltung, die auf gesellschaftlichen Fortschritt oder, vorsichtiger ausgedrückt, auf die gesellschaftspolitische Verantwortlichkeit des Individuums setzt. Kunst, die sich diesem Prinzip verpflichtet fühlt, kann dafür mehr mit inhaltlichen oder mehr mit formalen Mitteln arbeiten. Trifft sie die Fragen der Zeit, lösen beide Varianten Verstörung aus, die Gesellschaft reagiert mit Skandalisierung oder Totschweigen.

Paradigmatisch zeigt das die österreichische Literatur der 1950er Jahre. Die frühe NS-Aufarbeitungsliteratur, die vor 1960 erschien, war formal, vergleichsweise zumindest, konventionell, aber inhaltlich brisant. Keiner wollte sie damals lesen, keiner kennt sie heute mehr. Auch das, was im Rückblick als Avantgarde der Zeit bezeichnet wird, rüttelte an den Grundfesten der Restaurationsideologie der Nachkriegszeit; hier wurden formale Grenzen und Normen gesprengt. Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit – und das wird selten ausgesprochen – spielte dabei eine erstaunlich geringe Rolle. Diese Kunst wurde skandalisiert, blieb dadurch aber zumindest im historischen Gedächtnis und konnte Ende der 1960er Jahre ihren verspäteten Siegeszug antreten.

Gradmesser für Gesellschaft

Debatten sind in Österreich schwierig zu führen, weil sie hierzulande besonders leicht an Beispielfällen kleben bleiben und selten eine höhere Abstraktionsstufe erklimmen. Daniel Kehlmann als Beispiel für antiaufklärerischen Weltzugang zu nennen, musste genau diesen Effekt erzielen. Doch die zugrunde liegenden Fragen sind völlig unabhängig von Namen und zu interessant, um von Personalisierungen zugedeckt zu werden.

Eine der Fragen setzt beim historischen Roman an. Wie historische Stoffe erzählerisch behandelt werden, ist ein guter Gradmesser für die mentale Befindlichkeit einer Gesellschaft. Man könnte zum Beispiel fragen, in welchen Epochen sind Romane über historische Persönlichkeiten, die das befreiende Schmunzeln – sind ja auch nur Menschen – und zugleich die gehörige Bewunderung hervorrufen, bei Autor/inn/en wie Leser/inne/n besonders beliebt?

Das war etwa in den 1920er und 1950er Jahren der Fall, also in Phasen großer historischer, ökonomischer oder mentaler Umwälzungen, die ein Bedürfnis nach Sicherheit wecken. Existenzielle Unsicherheit ruft immer auch das Gefühl der Überforderung hervor; die Angst, „es“ nicht zu schaffen, erzeugt Mindergefühle. Das lässt sich etwas abfedern, wenn sich der Einzelne seiner Zugehörigkeit zur Menschheit versichert, zu der auch ihre herausragenden Größen gehören. Es liege immer etwas „Klägliches“ darin, schrieb Alfred Polgar, der den fatalen Mindergefühlen der Zwischenkriegszeit stets auf der Spur war, einem großen Geist zu huldigen, doch gelte, „genau besehen, das Lob den Lobenden, die im Individuum die Gattung rühmen und sich etwas drauf zugute tun, daß einer ihresgleichen so Hohes imstande war.“

Hochzeiten in diesem Sinn versöhnlich oder tröstlich angelegter historischer Romane sind meistens auch Phasen, in denen auf „sperrige“, also beunruhigende Interpretationsversuche oder künstlerische Zugänge zur Welt besonders harsch reagiert wird und ein widerstandsbereites Potenzial zur Abwehr des Verstörenden bereitsteht. Das ist auch das Beunruhigende an der Regietheaterdebatte, die ja völlig personenunabhängig aktuell massiert aufflackert und eine Wiederkehr alter Kulturkampfzeiten befürchten lässt; wie in den späten 1970er Jahre, als in den medialen Kampagnen und parlamentarischen Anfragen noch gegen „Kottan ermittelt“, „Alpensaga“, die „Staatsoperette“ oder einfach „Valie Export & Co“ mobilgemacht wurde.

An den Oberflächen kratzen

Vielleicht liegt ein Versagen auch bei der Wahrnehmung dessen, was Literatur eigentlich ausmacht. Die Instanzen der Literaturvermittlung scheinen tendenziell die Überzeugung verloren zu haben, dass Literatur auch mit der Selbstverständigung einer Gesellschaft zu tun hat; dann kratzt sie – und muss kratzen – an den Oberflächen unserer Welt, unserer Bilder, unserer Vorstellungen von Leben und an unseren (ästhetischen) Wahrnehmungsgewohnheiten. Das ist unbequem, aber auch widerständig und anarchisch und könnte mit diesen Qualitäten potenziell sogar jugendkompatibel sein.

Um Missverständnisse zu vermeiden, muss man aktuell wohl anfügen: Das ist kein Plädoyer gegen gut geschriebene Unterhaltungsliteratur, sondern ein Plädoyer dafür, dass eine flotte Sprache und eine spannende Geschichte mögliche, aber nicht allein hinreichende Bedingungen sind für Literatur, die sich im Lesen nicht verkonsumiert. In puncto leichter Unterhaltung aber kann und konnte Literatur nie mit kulinarischeren Darreichungsformen der Freizeitgestaltung mithalten, mit Zirkus und Varieté so wenig wie mit Film, Fernsehen oder Gameboy.

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