Gott - © Foto: Moritz Schell

Positionen, Ideologien: "Gott" von Ferdinand von Schirach

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Entscheiden über Leben oder Tod? Das kann eigentlich nur Gott. So auch der Titel des jüngsten Stücks von Ferdinand von Schirach, das in den Kammerspielen zu sehen ist.

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Entscheiden über Leben oder Tod? Das kann eigentlich nur Gott. So auch der Titel des jüngsten Stücks von Ferdinand von Schirach, das in den Kammerspielen zu sehen ist.

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In den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt wurde bereits 2017 Schirachs „Terror – Ihr Urteil“ aufgeführt; nun, sechs Jahre später, bedient sich Regisseur Julian Pölsler wieder des Formates des Gerichtsdramas. Ein Fall wird etabliert. Bei „Gott“ handelt es sich um den 78-jährigen Richard Gärtner, der nach dem Tod seiner Frau des Lebens überdrüssig ist und – ohne Hand an sich zu legen – sterben möchte.

Theoretisch könnte der Lebensmüde Suizid begehen, aber er bezweckt Pionierarbeit für assistierten Freitod, um mögliche Risiken (sprich: doch zu überleben, möglicherweise aber mit Beeinträchtigungen) auszuschließen. Auch die Option, in die Schweiz zu fahren, wo Organisationen, wie EXIT oder DIGNITAS für teures Geld „fachlich kompetente Hilfeleistung bei der Selbsttötung“ leisten, nimmt er nicht wahr, sondern er möchte ein Exempel statuieren bzw. diese Frage auch für andere klären.

Primat des Regelwerks

Ferdinand von Schirach, selbst Strafverteidiger, verhandelt in seinen Stücken vorwiegend rechtsphilosophische Fragen. Bei „Terror“ ging es um den Fall eines Piloten, der ein von Terroristen entführtes Passagier-Flugzeug abschoss, um damit 70.000 Menschen im Fußball-Stadion (das angesteuert wurde) zu retten. Der Flugabsturz wird nicht gezeigt, sondern als Bericht wiedergegeben. Schauplatz des Dramas, das auch mit Lars Eidinger und Martina Gedeck verfilmt wurde, ist der Gerichtssaal. Hier verdichten sich Positionen, Emotionen, Werte. Vor Gericht hat jeder seine klar definierte Rolle und Kleidungsrichtlinien ‒ man denke an Talar und Hermelinkragen als Zeichen der richterlichen Würde.

In „Gott“ tagt ein Ethikrat, eine nüchtern-graue Halbarena (Walter Vogelweider) bedient die Theatralität des Vorgangs. Auf einer Tribüne sitzen die verschiedenen Interessensvertreter, rechts die Gegner der Sterbehilfe, links die Fürsprecher. Sind sie am Wort, werden sie als Zeugen in die Mitte der Bühne gerufen, um dort dem Anwalt von Reinhold Gärtner (bei der Premiere spielte Herbert Föttinger in Vertretung des vor der Premiere verletzten Johannes Seilern) Rede und Antwort zu stehen.

Raphael von Bargen gibt den smarten, rhetorisch geschliffenen Rechtsvertreter Biegler. Perfekt auf die Argumente seiner Gegenüber vorbereitet, zitiert er sowohl die Bibel als auch das Verfassungsrecht aus dem Effeff. Das wirkt teilweise überzogen. Gärtners Arzt wird von Martin Niedermair gespielt, in biederem Beige ist er als einfühlsamer Mediziner zu sehen, der besondere Empathie für seinen Patienten empfindet.

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