6854561-1977_09_13.jpg
Digital In Arbeit

Alchimie der Formen, Kosmos der Farben

19451960198020002020

Vergleichbares hat Wiens Kunstszene seit Jahren nicht mehr erlebt: Zwei Dutzend Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen Wassili Kandinskis, Paul Klees und Frank Kupkas, also ein Vielmillionenkunstschatz, wurden zur Eröffnung der neuen Galerie U1 y s s e s (Opernring 21) nach Wien gebracht und warten nun hier auf Käufer. Und es wäre eigentlich notwendig, daß einiges davon für Wiener Sammlungen erworben wird, die mit Werken dieser Hauptmeister des frühen 20. Jahrhunderts allesamt nicht sonderlich gesegnet sind.

19451960198020002020

Vergleichbares hat Wiens Kunstszene seit Jahren nicht mehr erlebt: Zwei Dutzend Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen Wassili Kandinskis, Paul Klees und Frank Kupkas, also ein Vielmillionenkunstschatz, wurden zur Eröffnung der neuen Galerie U1 y s s e s (Opernring 21) nach Wien gebracht und warten nun hier auf Käufer. Und es wäre eigentlich notwendig, daß einiges davon für Wiener Sammlungen erworben wird, die mit Werken dieser Hauptmeister des frühen 20. Jahrhunderts allesamt nicht sonderlich gesegnet sind.

Werbung
Werbung
Werbung

Galeriechef John Sailer holte sich diese Meisterbilder und -blätter, die durchwegs Spitzenwerke sind, direkt von der Quelle: Madame Nina Kan- dinski, die Witwe des geistigen Vaters der abstrakten Malerei, gab dafür Wichtiges als Leihgabe her, und Fran- tišek Kupkas Tochter vermittelte auch zu wichtigen Galerien in Paris und in der Schweiz.

„Wenn ich genügend Zeit vom Schicksal geschenkt bekomme, entdecke ich eine neue internationale Sprache, die ewig sein und sich unendlich entwickeln wird und die nicht Esperanto heißt”, prophezeite Kan- dinski 1904 in einem unveröffentlichten Manuskript „Definieren der Farbe”. Ein Satz, der seinen Optimismus, sein fast religiöses Sendungsbewußtsein, sein Reformdenken bereits sechs Jahre vor seinem ersten abstrakten Aquarell („Komposition”) wiedergibt. Deutet er doch schon auf Ansätze, wie sie für Kandinski so charakteristisch wurden: Sprachgeistiges, das in seine abstrakten Blätter einfließen sollte („Jede Kunst spricht…”), die Musikalität im Formalen („Die Form selbst … hat ihren inneren Klang”), ein analytisches Uberdenken der Beziehungen zwischen Punkt, Linie und Fläche und eine völlig neue Sensibilisierung der Welt der Farbe, die Kandinski stets mit Klang, Parfüm, harmonischen Verhältnissen verband…

Von 1924 stammt das früheste der Kandinski-Blätter in der „Ulysses”- Galerie, also aus jenem Jahr, da der 58jährige Kandinski mit Klee, Feinin- ger und Jawlensky die Gruppe „Die vier Blauen” gründete, um sich balddarauf dem nach Dessau übersiedelten Bauhaus anzuschließen. Das späteste Blatt ist 1941 entstanden („Grau auf Schwarz”, 649), also etwa in der Zeit seiner Rückkehr nach Paris, nachdem er 1940 bei der Evakuierung von Paris vor dem deutschen Einmarsch sich in die Pyrenäen zurückgezogen hatte. Strenge, bald geometri- sierende, bald in dynamisch schlingernden Linienzügen sich entladende Blätter von ungemein verfeinerter Eleganz.

Und welcher Unterschied zu fast gleichzeitig entstandenen Blättern Paul Klees, von dem etwa eine „Schwarze Maske” (1938) oder das unvergleichlich schöne Blatt „Schling- Gewächse” (1932) hier vertreten sind, die für Klees mystisches Denken so charakteristisch sind: „Der Künstler besieht sich die Dinge, die ihm die Natur geformt vor Augen führt, mit durchdringendem Blick. Je tiefer er schaut, desto leichter vermag er Gesichtspunkte von heute nach gestern zu spannen”, den Sprung „vom Vorbildlichen zum Urbildlichen” zu schaffen (daneben übrigens erlesene frühe Blätter wie die „Astralen Automaten”, 1918, also aus der Zeit unmittelbar vor seiner Berufung ans Weimarer Bauhaus).

Gerade im Vergleich mit den Arbeiten des Altösterreichers Frank Kupka (von 1871 bis 1957) zeigen sich die verwandten Momente aller drei: das Aufspüren von Natur und Realität, die für jeden der drei eine anders differenzierte Reaktion bedeutet; das Aufspüren verborgener Gesetze dieser Realität in den Manifestationen der Natur; die Aufgabe des Künstlers, diese Ge setze sichtbar zu machen, indem der Künstler nicht die Natur abzeichnet, sondern parallele Ordnung schafft.

Von Kupka zeigt „Ulysses” übrigens realistische Studien (1905) ebenso wie dynamisch gestrichelte „Auflösungen” und vor allem seine streng geometrisierten Bilder, wie er sie zwischen 1930 und seinem Tod gemalt hat: Parabeln einer „beseelten Materie der Alchimie, der schöpferischen Anwesenheit des mit dem Kosmos übereinstimmenden Menschen”.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung