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Apokalyptischer Warngänger

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Der Publizist und Schriftsteller Günther Anders feiert am 12. Juli seinen 90. Geburtstag in Wien. Der Münchner Verlag C. H. Beck legt zu diesem Anlaß neben dem bis heute unveröffentlichten Roman „Die molussische Katakombe" sein philosophisches Hauptwerk „Die Antiquiertheit des Menschen" sowie eine breitgefächerte Aufsatzsammlung zur wissenschaftlichen und publizistischen Auseinandersetzung mit Günther Anders vor, die auf das Internationale Wiener Anders-Symposion vom Herbst 1990 zurückgeht: „Günther Anders kontrovers", herausgegeben von Konrad Paul Liessmann.

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Der Publizist und Schriftsteller Günther Anders feiert am 12. Juli seinen 90. Geburtstag in Wien. Der Münchner Verlag C. H. Beck legt zu diesem Anlaß neben dem bis heute unveröffentlichten Roman „Die molussische Katakombe" sein philosophisches Hauptwerk „Die Antiquiertheit des Menschen" sowie eine breitgefächerte Aufsatzsammlung zur wissenschaftlichen und publizistischen Auseinandersetzung mit Günther Anders vor, die auf das Internationale Wiener Anders-Symposion vom Herbst 1990 zurückgeht: „Günther Anders kontrovers", herausgegeben von Konrad Paul Liessmann.

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Günther Anders schrieb in den Jahren 1930-32 den Roman „Die molussische Katakombe", den Bert Brecht dem Kiepenheuer-Verlag in Berlin zur Veröffentlichung vermittelte. Bei einer Durchsuchung durch die Gestapo wurde 1933 das Manuskript, eingewickelt in eine Indonesien-Landkarte mit dem Vermerk „Molussien", für ein Südsee-Märchenbuch gehalten und konnte schließlich auf Umwegen dem wegen seiner jüdischen Herkunft und antifaschistischen Haltung nach Paris emigrierten Anders zurückgegeben werden. Weder in Deutschland noch in Frankreich durfte der Roman erscheinen, der in politischen Parabeln vom Überlebenskampf der gefangenen „Meldereiter" der Wahrheit gegen die verdunkelnden Lügenketten eines Terrorregimes handelt. Anders überarbeitete das Manuskript noch zweimal, 1935 in Paris und nach seiner Flucht in den Vereinigten Staaten. Nun willigte er in die Erstveröffentlichung der dritten Fassung von 1938 in New York ein: „Heute ist das Buch bestimmt für alle Opfer der Lüge."

Fortschritts-Aberglaube

Inmitten der von Anders postulierten „Apokalypseblindheit" kamen seine philosophisch-politischen Kampfthesen gegen die technische Zivilisation - spätestens seit dem Scheitern des sozialistischen Experiments - immer rasanter und radikaler zu Gesicht. Dem merkwürdigen, Kapitalismus und Sozialismus verbindenden „Aberglauben an die Identität von technischem und sozialem beziehungsweise politischem Fortschritt" stellte Anders seinen prome-theisch vorweggenommenen Todessegen auf die sich selbst auslöschende Menschheitsgeschichte entgegen, deren Verlauf mehrere industrielle Revolutionen ausgemacht haben, die allesamt einem abstrusen metaphysischen Glaubensbekenntnis geradezu zwanghaft nachhängen: „Rohstoffsein ist criterium existendi, Sein ist Rohstoffsein."

Angesichts des jüngsten ökologisch-politischen Welt-Warnungsgangs von Rio erhält das philosophische und publizistische Lebenswerk von Günther Anders weiterhin bewußtseinserhellende Aktualität, nicht mehr weiter mit den selbstzerstörerischen Auswirkungen, den produktionstechnischen und maschinell-industriellen Triebfedern sowie ihren fatalen Mechanismen hin- und herzu-händeln: „Die Welt", so konstatierte Anders, und hinzuzufügen bliebe: wie der Mensch, „gilt immer noch als eine auszubeutende Mine." Mit diesen warnenden Gegenbildern des idealisierten Pragmatismus entlarvte Anders schließlich auch finale Bezüge: Analog zu dem nationalsozialistischen „lebensunwerten Leben" gibt es „existenzunwertes Seiendes". Woraus sich nichts Verbrauchbares, Verwendbares oder Bedarfweckendes machen läßt, demjenigen muß Existenz abgesprochen werden, wo es uns im Wege steht, darf es vernichtet werden. „Wozu dient der Mond?" (molus-sisch). Die logische Kette ist unendlich und katastrophal zugleich.

„Als Noah von seinem hundersten Warnungsgang nach Hause zurückgekehrt war, da konnte er es sich nicht mehr verhehlen, daß so weiterzumachen, wie er es nun, niemals beraten von seinem Gotte und jedesmal auf eigene Faust hundert Male getan, wirklich keinen Sinn mehr hatte." Die Mitbürger, die „von der Flutwarnung gestern schon gehört hatten und vorgestern und vorvorgestern", waren lediglich „gierig auf das gerade Allerneueste", erzählt Anders in seinem 1961 geschriebenen Prosastück „Die beweinte Zukunft". Verzweifelt stieg Noah ins „Kostüm der Wahrheit" und nahm die allertiefste Trauer um die in der Sintflut ertrunkenen Söhne und auch Enkel, die noch nicht Geborenen, vorweg: „Drehe die Zeit um..., nimm den Schmerz schon heute vorweg, vergieße die Tränen im voraus!" Und es fanden sich einige Mitbürger, ein Zimmermann, ein Dachdecker, ein Steuermann und viele mehr, sie erbauten eine „klägliche Arche, die schließlich zustande kam anstelle der stolzen Flotte, die er einst erhofft und entworfen hatte".

Anders, der sich in seiner amerikanischen Exilzeit vom Holzarbeiter bis zum Ästhetiklektor durchschlug, hat mit seinem engagierten Werk und Wirken stets auf den zivilisationskranken Waldstand der Welt energisch aufmerksam gemacht und gleichzeitig als unermüdlicher Warngänger zur letzten Bewußtwerdung und zur Umkehr der Zeit, bildlich gesprochen, zum Bau an der einen kläglichen Arche, aufgerufen. Daran möge, wer noch mitdenken will, teilhaben.

Bücher von Günter Anders: DIE MOLUSSI-SCHE KATAKOMBE. 323 Seiten, öS 336,-. DIE ANTIQUIERTHEIT DES MENSCHEN. ÜBER DIE SEELE IM ZEITALTER DER ZWEITEN INDUSTRIELLEN REVOLUTION (1). ÜBER DIE ZERSTÖRUNG DES LEBENS IM ZEITALTER DER DRITTEN INDUSTRIELLEN REVOLUTION (2); zusammen öS 476,-, je öS 117,60. GÜNTHER ANDERS KONTROVERS. Herausgegeben von Konrad Paul Liessmann. 319 Seiten, öS 168,-. Alle: Verlag C. H. Beck.

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