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Armee ohne Feuerpause

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Eines der wichtigsten Ergebnisse des Vietnamkrieges in den USA war die Abschaffung der Allgemeinen Dienstpflicht. Schnell und flexibel in der Anpassung an die vorherrschende Stimmung in der amerikanischen Jugend, beendete der Kongreß durch Gesetzesakt vom 1. Juli 1973 das System der Zwangseinberufung und ersetzte es durch die sogenannte „Freiwillige Armee“. Freiwilligkeit bedeutet in diesem Zusammenhang nicht das Gleiche wie der freiwillige Beitritt zu europäischen Heeresorganisationen, etwa zur alten österreichisch-ungarischen Armee oder zur Deutschen Wehrmacht. Freiwilligkeit bedeutet1 Freiheit der Berufswahl, Soldat zu werden, und daher ist die neue amerikanische Armee eine Berufsarmee. Da die mangelnde Bereitschaft in den Demokratien, dem Staate — der man ja selbst ist — auf einige Jahre im Militärdienst verpflichtet zu sein, ein allgemeines Phänomen zu werden verspricht, wird das amerikanische Experiment vielerorts genau studiert und analysiert.

Zunächst war man besorgt, ob überhaupt genügend junge Menschen eine militärische Berufswahl treffen würden. Um eine Gesamtarmee von 2,1 Millionen (Männer und Frauen) aufrecht zu erhalten, ist ein jährlicher Zustrom von 450.000 Mann (Offiziere und Mannschaft) notwendig. Laut offizieller Mitteilung des Verteidiigungsmini-steriums wird nun angenommen, daß im heurigen Fiskaljahr, das Ende Juni zu Ende geht, mindestens 400.000 junge Männer und Frauen eine militärische Karriere ansteuern werden. Das sind 60 Prozent mehr, als sich unter dem früheren System freiwillig zur amerikanischen Armee gemeldet haben. Das Ergebnis liegt um etwa 5 Prozent unter den Erwartungen und wird — für den Beginn — als sehr befriedigend bezeichnet. Vor allem will man den Prozentsatz des Beitritts von Frauen heben, um das gesteckte Ziel zu erreichen. 1971 waren 2,5 Prozent Frauen in der amerikanischen Armee beschäftigt, heute sind es mehr als 7 Prozent.

Eines der Hauptaigumente gegen die Berufsarmee war die Befürchtung einer überdurchschnittlichen Zunahme des Anteiles der Neger und damit verbunden, die Gefahr rassischer Konflikte im militärischen Bereich. Die Zahlen sind jedoch nicht alarmierend. 1970 war der Anteil der Neger in der amerikanischen Wehrmacht 11 Prozent, er liegt jetzt nahe an 15 Prozent, bei einem Negeranteil an der Gesamtbevölkerung von 13 Prozent. In der Armee — zum Unterschied von Luftwaffe und Marine — ist der Negeranteil allerdings von 14 auf 20 Prozent gestiegen. Das Verteidigungsministerium betont jedoch, daß auch in dieser Frage die Einstelhang eines Berufssoldaten eine andere ist als die eines „unfreiwillig“ Einberufenen, weil sich der Berufssoldat mehr als Teil eines Teams betrachtet, während die Neger in der „alten“ Armee mehr über ihr rassisches Schicksal im Rahmen eines Wehrkörpers reflektierten, der oft noch alte Überlieferungen der Segregationszeit mit sich schleppte. Es wird jedoch auch unmißverständlich unterstrichen, daß die Qualitätsanforderungen gleich rigoros gegenüber weißen wie gegenüber schwarzen Kandidaten angewendet werden, was es jedem, der zwischen den Zeilen zu lesen versteht, klar macht, daß dem Negerzustrom eine natürliche Barriere gesetzt ist.

Schließlich stellt ' das Verteidi-gungsministerium die Frage der Kosten .dieser neuen Berufsarmee zur Diskussion. Dabei tritt es der Ansicht entgegen, die neue Berufsarmee würde so kostspielig sein, daß sie dem Rüstungssektor Budgetgelder entziehen müsse. Es wird betont, daß die Personalkosten natürlich mit jenen in der Wirtschaft parallel verlaufen und auch dem Inflationssektor Rechnung tragen müssen. Aber dieses Prinzip der Kostendeckung bei steigenden Lebenshaltungskosten ist nicht neu und bestand bereits vor Einführung der Berufsarmee. An sich operiert das Verteidigungsministerium mit einer Zahl von plus 750 Millionen Dollar für das Berufsheer gegenüber dem Konsfcriptions-heer. Es ist jedoch fraglich, ob diese Summe nicht zu hoch gegriffen ist. Denn das Berufsheer weist einen sozusagen eingebauten Ersparnisfaktor auf: den geringeren „Umsatz“, das heißt, das Längerdienen in einer bestimmten Sparte. Training kostet Geld und je länger jemand eine bestimmte Funktion ausübt, desto produktiver und kostensparender ist seine Verwendung. Während der Konskriptionsperiode dienten die amerikanischen Soldaten im Durchschnitt 21 Monate. Jetzt 33 Monate. Das kommt einer Produktivitätssteigerung von 57 Prozent gleich. Das bedeutet wieder eine finanzielle Ersparnis von 400 bis 500 Millionen ab 1975 und von mehr als 600 Millionen Dollar ab 1976. Diese Produktivitätssteigerung wird die zusätzlichen Anforderungen für die Be-rufsairmee von 750 Millionen auf 300 Millionen reduzieren.

Man ist also in Regierungskreisen bis jetzt mit den Ergebnissen des Berufsheeres sehr zufrieden. Es ist jedoch noch viel zu jung, als daß wirkliche Rückschlüsse auf seine Effektivität möglich wären. Weder hat dieses Heer seine Feuerprobe bestanden, noch kann man nach so kurzer Zeit Rückschlüsse auf die Rolle einer Berufsanmee in der Innenpolitik ziehen. Sie bleibt zunächst noch ein Experiment, das um so riskanter ist, je stärker die amerikanische Großmachtposition von einem militärischen Wettrüsten mit der Roten Armee abhängig ist.

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