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Aus den Pulkauer Aufzeichnungen

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Wir wohnen in unmittelbarer Nähe des großen Silos. Zuerst habe ich mich über diesen Betonklotz geärgert. Überall stehen diese riesigen Türme in der Landschaft und verunzieren das einheitliche Bild von Hügelauf und Hügelab, von Ackerstreifen und Weinberghängen. Haben sich früher nur die Kirchtürme über das Land erhoben und da und dort die festen Burgen oder Schlösser der . adeligen Herrschaften, so leuchten heute die mächtigen weißen Türme, in denen das Getreide für die Menschen gespeichert ist, weithin und markieren diese und jene Ortschaft.

Geht nicht schon aus diesen Sätzen meine etwas geänderte Einstellung zu dem großen Bau-

werk hervor? Daß ein riesiges Firmenzeichen darauf prangt? Wen kann das wundern, in einer vom Kommerz geprägten Gesellschaft? Ein Maler hätte ja auch mit einem kitschigen Mosaik, odgr einem gigantischen Mörtelschnitt nach der markigen Art der Kunst des Dritten Reiches die weiße Fläche zieren können. Nein, die nüchternen kahlen Wände zeugen von einer nüchternen Zeit.

Schließlich bin ich froh, daß es nur das Firmenzeichen ist. Es gibt nicht so viele Maler, die so große Flächen so gut gestalten können und vor allem sind die Bauherren heute auch nicht so kunstverständig wie einst Abt Berthold Diet- mayer vom Stift Melk oder Abt Placidius Munch vom Stift Altenburg.

Doch zurück zu dem Silo in der Nähe unseres Hauses. Hier sitzen auf den Fenstergesimsen der Treppenanlage oder auf der Kante des flachen Daches häufig große Falken. Es sind schöne Tiere, die immer wieder von dem Bauwerk abfliegen und dann in weiten Spiralen um den Betonturm segeln. Manchmal weckt uns ihr heller Schrei schon früh am Morgen, und die Singvögel in Hof und Garten sind dann jäh verstummt, sitzen im Geäst des Flieders oder der Forsythie, und die Tauben flattern aufgeregt vom Dach des Lagerhauses. Ich glaube aber, die Falken sind hinter den Mäusen her, die ja dort, wo es Körnerfrucht in Massen gibt, wie eben in jedem Lagerhaus, ein bequemes Leben führen.

Nun sitze ich letztens im Hof im Schatten unseres alten Marillenbaumes, stöbere Zeitungen durch und lese als Überschrift etwas von Tauben und Falken im Kabinett einer Regierung. Ich muß sogleich zum Silo hinüberschauen. Und dort sehe ich nicht Tauben und Falken, sondern Schwalben und Falken. Und sonderbar, die Schwalben fliegen in ununterbrochener Folge, eine nach der anderen, einen Falken ap. Ganz gleich, ob er nun auf einer der Ecken der Plattform des Silos sitzt oder um den Betonklotz kreist, immer wieder stürzen sie sich aus großer Höhe in steilem Flug hernieder. Kurz vor ihm fangen sie den Sturzflug ab, steigen wieder hoch, kurven und setzen wieder zum Anflug auf den Falken an.

Sonderbar, denke ich, haben die Schwalben keine Angst?

Immer wieder weicht der Falke aus, setzt sich auf eine andere Stelle der Plattform, fliegt eine Schleife um den Turm, kreist wei ter fort, immer einen Schwarm von Schwalben hinter sich herziehend, die immer, gleich angriffswütigen Jagdflugzeugen auf einen Bomber, auf den Raubvogel losstürzen.

Wie ist das mit den Falken, frage ich mich, wie schlagen sie ihre Opfer? Ich hole mir ein Tierlexikon aus der Bibliothek. Vielleicht ist dieser Raubvogel nicht geschickt genug und schlägt seine Beute nur am Boden. Ich komme mit dem Buch in den Hof und schaue sogleich zum Silo. Die Schwalben treiben nach wie vor ihr gefährliches Spiel.

Und nun lese ich über die Falken: „Mit ungewöhnlich raschen, kräftigen Flügelschlägen schießen sie schnell dahin, erreichen erstaunliche Fluggeschwindigkeiten und stürzen sich in rasender Fahrt auf ihr Opfer.“ Ich blicke hoch. Wer sich stürzt, sind die Schwalben, und zwar in rasender Fahrt und mit ununterbrochenem Gekreische.

Ich beobachte die Tiere eine ganze Zeit lang, bis endlich, ich werde des Hochstarrens schon überdrüssig, der Falke mit ungewöhnlich raschen, kräftigen und sehr flachen Flügelschlägen das Weite sucht und in der Richtung zum Wald aus meinem Blickfeld entschwindet. Eine kurze Strecke fliegen die Schwalben noch hin terher, dann kehren sie zum Silo zurück. Ihr Angriff richtet sich nun auf ein etwas kleineres Tier, das in einer Ecke eines Fenstergesimses sitzt. Doch dieses läßt sich nicht lange’bitten, es schlägt ein paarmal mit den Flügeln, schwebt einige Meter vom Silo fort und streicht dann in raschem Flug seinem Gefährten nach. Die Schwalben, ziehen kreischend um den Turm. Ich sehe keinen Falken mehr.

Da fällt mein Blick wieder auf den Zeitungsartikel, und ich stelle fest, daß unter dem Titel von den Tauben und den Falken von einer Beratung über die Erzeugung von Neutronenwaffen berichtet wird. Ach, die Tauben, denke ich, die Tauben, warum sind es keine Schwalben?

Ich dachte zwar oft an die Beobachtung, doch ich hielt sie für abgeschlossen. Die Tauben und die Falken und dann die Schwalben. Und ich dachte manchmal, ich muß, wenn ich in der Stadt bin, meinen Freund, den Professor im Zoologischen Institut der Universität, anrufen und ihm meine Beobachtung mitteilen, ihn fragen, wieso sich die Vögel so verhalten.

Doch wie das schon so ist, nie denke ich daran, wenn ich in der Stadt bin und nehme es mir, wenn ich wieder ah’ meinem Schreibtisch sitze und durch das Fenster in den Hof hinausschaue, für das nächste Mal aufs neue vor.

Nun, da viel Schnee liegt, streu en wir Futter für die Singvögel an einer geschützten Stelle, Finken kommen, Grünfinken, Bergfinken und Buchfinken, ab und zu Kernbeißer, Pieper, Kohl- und Blaumeisen natürlich immer und auch eine ganze Schar Spatzen. Ein paar Tauben stellen sich auch meistens ein. Sie wandern unter dem Futterhäuschen mit wippendem Kopf am Boden durch die Spatzenschar und picken die Körner vom Boden.auf.

So äuch heute. Ich schaue nicht hinaus. Ich weiß, und höre es durch die geschlossenen Fenster, die Vogelschar ist an der Futterstelle eifrig. Und während ich vor mir auf das Papier auf dem Tisch schaue, ist es mir plötzlich, als wäre ein heller Strich quer über das Rechteck meines Fensters gezogen worden. Und gleich darauf höre ich einen Aufschrei der Vögel. Es klingt anders als noch vor Minuten, und schon sehe ich die Spatzenschwärme über die Mauer, die den Hof umgibt, davonfliegen. Ich gehe zum Nachbarfenster, das mir einen größeren Ausblick gewährt und sehe es nun:

Ein Raubvogel hackt mit seinem Schnabel in den Leib der Taube.

Da ich eine Bewegung mache, hält er inne, schaut zum Haus her. Hellgelb leuchten mir die Augen des Todes entgegen.

Ich muß an den Sommer und an die Schwalben denken. Ich dachte, das Gleichnis sei abgeschlossen.

Doch nun deckt ein grauer Flügel den weißen Leib der regungslosen Taube, zwei harte Augen starren mich an. Schneeflockengleich schweben Flaumfedern in der Luft.

Sommer und Winter in meinem Garten.

Sommer und Winter auf diesem Stern.

Der Romancier und\ Lyriker Alois Vogel lebt in Pulkau

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