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Bruder Vöglein, singt mit mir...“

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Es ist ein kleiner Flecken an der Mattig, wo ich Zuflucht gefunden habe. Und es ist ein buntes Gemisch von Schlesiern, Banatern, Kölnern, das nun die feste Ruhe der Inn-viertler durchsetzt und einige Bewegung in das Land bringt. Dieses selbst dehnt sich, weit und fruchtbar, unter dem sonnigen Himmel. Der wuchtige Vierseithof hat seine reidie Ernte geborgen. War's Sankt Peter, war's der Wettergott — auf jeden Fall haben sie es gut gemeint, Segen in Fülle kam herein, das erste Heu, frisch und trocken, die goldig glänzenden Garben. Schon tönt der Klang des Drusches aus manchem Hof. Klee bündelt sich auf den Stangen,ein später Regenguß vermag ihm nicht zu schaden. Kartoffel, unser Leibgericht, entwadisen wieder der gebefreudigen Erde.

Hier an der Mattig, dem kleinen Neben-flüßchen des Inn, lebe idi nun schon Monate fern der Welt. Und doch ist die Welt zu uns gekommen, zu mir und meinen Verwandten, und die schwere Zeit hat auch an unser Heim gepocht, -vie manche Narbe des Hauses beweist. Endlos schlug der marschierende Tritt der müden Soldaten an unser Ohr, die heimwärts strebten, bei Sonnenschein und ach, bei Regen und Wind . . . Endlos . ..

Wir sitzen daheim und ich lerne „lasser-ling“ sagen und „wia da wöh“ recht inn-viertlerisch, und meine gute Base schmunzelt, wenn es so klangfremd aus meinem Mund kommt. Ein wenig geht's schon, und unlängst hat die alte Bäuerin von drüben „du“ zu mir gesagt, ich mache also Fopschritte im Heimischwerden. Und die Bäckerin liest so-_ gar auf ihr eigenes Verlangen einen Roman von mir — ich werde noch an der Mattig berühmt werden.

Kommt man von ferne in unser Burgkirchen, so fällt einem gleich der Kirchturm ins Auge. Er sieht recht stattlich in die Welt, und das Sdiiff, das er überragt, ist wohltuend einfach und doch geschmückt und anheimelnd. Hier mag man hoffen und wünschen und bitten . . .

Heuer hatte die Kirche Bewohner erhalten. Recht lebendig-muntere, die sich anscheinend unter dem Schutz all der buntbemalten und in vergoldeten Gewändern prangenden Gestalten wohl fühlten. Zwei Schwalben fanden eines Tages das schützende Dadi passend für ihren Nestbau. Es ging nicht ohne Debatte vor sich. Vielleicht stimmten ihre Ansichten über die zu wählende Wohnung nicht vollkommen überein. Ihr erschien das Eckchen hinter dem Hochaltar vortrefflich, ihm kam der heilige Wolfgang mit dem würdevollen Bischofsstab und dem KirchenrnodeLl ihren Wünschen geneigter vor. Es ging, wie es oft im leben geht: sie behielt das letzte Wort, das heißt, das letzte Zwitschern. Das Nest ist hinter dem Flodialtar.

Daß die junge Brut sich unter dem himmlischen Schutz gut entwickelt hat, bewiesen die drei Schwalben, die bald unter zärtlicher Aufsidit ihrer Eltern hin- und herflatterten. Zu Fünfen tummelten sich die feingefiederten Gäste herum. Das war ein Gaukeln, ein Sdiweben und Plaudern! Selbst der Heilige Geist, der goldgemalt auf blauem Untergrund auf der Deckenscheibe seine Flügel ausbreitet, tut dies nidit zierlicher, als die kleinen Schwalbenkinder. Husch — nun hatte das eine die krönende Spitze über dem Altar erflattert und ruhte von der Mühe aus. Aber wie lange dauert es, und wieder stürzte es sich jubelnd den Geschwistern entgegen, die im K:rchenschiff kreisten. Aus all den jauchzenden Stimmen vermeinte man die Worte des heiligen Franziskus zu hören: „Brüder Vöglein, sing mit mir, Vater unser, Lob sei Dir!“

Jetzt klammert sich das eine an die lange Schnur, an der die Lampe hängt. Schon setzt sidi das andere daneben — ist das ein guter Ruheplatz, leicht bewegt, leicht schaukelnd, und wieder geht's mit Aufjauchzen los im fröhlichen Spiel. Dann tummeln sich alle fünf, selig vereint, umher. Sie sind mit den Heiligen gut Freund, Sebastian gestattet es ebenso, daß sie auf seinem Pfeil Platz nehmen, wie Rochus, daß sie hoch oben auf seinem Kopf fröhlich unbekümmert ihr Danklied zwitschern. Die sanfte Maria lächelt mild herab, und das Kindlein auf ihren Armer 1 streckt verlangend die Händchen aus nach den Übermütigen.

Und all die kleinen Engelknaben! Wie es dene in den Beinen zuckt, sich mit hineinzustürzen in dieses Schweben, Flattern, Kreisen und Spielen — sdion heben sie die Arme, schon sind sie bereit, sich dem unschuldsvollen Reigen der Freunde anzuschließen — wenn sie nur ihr Schöpfer nicht so festgebannt hätte an ihren Sitz, da könnte man etwas erleben von Haschen und leichtbeschwingter Fröhlichkeit!

Weit herein bei der offenen Kirchentür strömt die herbe Luft der abgeernteten Felder. Kinder, es wird Zeit werden, an die große Fahrt zu denken!

Dann saßen sie auf den Telegraphendrähten, Tausende von eudi. Ja, der Herbst nahte; es gilbte und silberte über die Felder, und der Nachtwind kältete um unser Haus. Lebt wohl, ihr Schwalben! Wenn ihr wiederkehrt, steht euch die stille Zuflucht bereit — wia da wöh!

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