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Briefe gegen Fernweh

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Exotische Länder und Menschen kennenzulernen, ist der Traum vieler Jugendlicher; für die meisten bleibt er auch ein solcher. Entweder fehlt es am nötigen Geld, oder die Eltern verbieten die Durchführung dieser Träume mit der Begründung, daß derartige Reisen zu gefährlich seien.

Für Jugendliche, die trotzdem von Fernweh geplagt werden, bietet sich eine Möglichkeit, auf andere Art fremde Länder kennenzulernen: durch einen Briefwechsel mit Jugendlichen in den bevorzugten Gebieten. Brief-

freunde können nach Einzelheiten über das Heimatland gefragt werden oder wie die Menschen in dem betreffenden Land ihr Leben gestalten. Dadurch besteht die Möglichkeit, mehr über ein Land und seine Bewohner zu erfahren.

Im ersten Brief gilt es zunächst sich selbst vorzustellen, denn Brieffreunde zu haben, bedeutet auch über das eigene Land zu erzählen, über sich selbst, seine Familie, seine Freunde …

Wichtig dabei ist: beide Briefpartner sollten ungefähr gleich alt sein, die gleiche Sprache beherrschen - meist wird in Englisch oder Deutsch korrespondiert - und die gleichen Hobbies haben; solche Gemeinsamkeiten erleichtern das Schreiben.

Zu Beginn verläuft jede Brieffreundschaft nach einem bestimmten Schema. Es wird über Schule und Freizeit erzählt. Ist die erste Hürde überwunden, schreiben viele über ihr Land oder, was noch erfreulicher ist: sie stellen Fragen.

Helen aus Honkong wollte einmal wissen, was Schnee sei, als ich in einem Brief davon schrieb. Oder Percy aus Taiwan fand mein Schulenglisch spaßig und fragte mich deshalb, ob ich nicht lieber chinesisch lernen wolle.

Häufig können auch vernünftige Diskussionen entstehen, wenn sich beide Partner für dasselbe Thema interessieren. Bis es jedoch so weit ist, vergeht meist viel Zeit, denn einen Menschen durch Briefe kennenzulernen ist nicht einfach. Es entstehen auch nicht jedes Mal gleich Freundschaften.

Oft werden Briefe nicht beantwortet, weil die Schreibweise des anderen als seltsam empfunden wird, oder der Brief kommt überhaupt nicht an. Bei langjährigen Freundschaften ist es deshalb von Vorteil, wenn sich beide Partner ausmachen, in so einem Fall ein zweites Malzu schreiben. ,

Viele Jugendliche hätten gerne einen Briefpartner, weil sie etwas über andere Länder erfahren möchten, wissen aber selbst meist nicht, worüber sie schreiben sollen. Sie glauben zu wenig zu erleben. Oft ist es jedoch für den anderen von Bedeutung, wenn der Tagesablauf beschrieben wird, um sich die Lebensweise des Brieffreundes vorstellen zu können.

Erstaunlich ist, daß wesentlich mehr Mädchen als Burschen einen Briefwechsel haben; Mädchen scheinen eher dazu zu neigen, über sich selbst und

sehr persönlich zu schreiben. Langjährige Freundschaften entstehen häufig zwischen Mädchen.

Manchmal wird es auch üblich, zu verschiedenen Anlässen Geschenke zu machen, wie z. B. bei Maekawan aus Thailand: sie besucht eine Kunsthochschule und hat mir bereits einige selbstgemalte Thaimotive geschickt. Brieffreunde, die den anderen persönlich kennenlernen möchten, laden ihn ein, was für den Briefpartner sicher erfreulich, aber oft nicht annehmbar ist. Wenn der Betreffende in einem weit entfernten Land wohnt, fehlt es oft am nötigen Geld, um ihn zu besuchen.

Das ist jedoch nicht immer der Fall, wie etwa bei Elsbeth aus der Schweiz. Sie bat mich, zwei Wochen zu ihrer Familie nach Zürich zu kommen. Der Vorteil dabei war: die eigene Familie brauchte sich keine Sorgen zu machen, daß ich nicht gut untergebracht sei, und die finanziellen Mittel mußte ich nur für die Fahrt aufbringen. Zu einem Gegenbesuch kam es nicht mehr. Die Brieffreundschaft hörte kurz danach auf, da wir beide anderen Interessen nachgingen.

Die Motive für Einladungen sind oft sehr unterschiedlich: Cindy aus Kanada bat mich, sie so bald wie möglich zu besuchen, da sie einen Krieg mit dem Iran befürchtete, und dies nun die letzte Möglichkeit sei, einander zu sehen.

Es ist für beide Briefpartner sehr aufschlußreich, wenn sie einander persönlich kennenlernen. In einem Brief gibt man sich oft anders, was oft erst bei der Begegnung bewußt wird. Was für die Betreffenden zu bedenken ist: es müssen beide sehr anpassungsfähig und kontaktfreudig sein, sonst kann es zu sozialen Schwierigkeiten kommen.

Brieffreunde zu haben, muß jedoch nicht immer bedeuten, eingeladen žu werden. Fernwehgeplagte haben dadurch auf jeden Fall die Möglichkeit, Erfahrungen zu machen. Etwa wenn Chandan aus Neuseeland Österreich bewundert, weil es eine eigene Kultur hat oder wenn Maekawan aus Thailand sich fragt, weshalb in Europa nicht die Großeltern ihre Enkel erziehen wie in ihrem Land. Durch einen einzigen Brief lassen sich viele Erfahrungen machen.

• Zu eigenen Überlegungen wird man auch angeregt - spätestens bei der Beantwortung der Briefe.

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