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Buhmann Hochkultur

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Hurra, wir haben ein neues, schönes, rundes Aggressionsziel, freigegeben zum Beschuß durch alle, die derlei brauchen, um den Zusammenhalt nicht zu verlieren. Das Aggressionsziel heißt „Hochkultur” und seit vergangenem Sonntag sogar „extreme Hochkultur”. Die am Sonntag an Karajans Opempublikum verteilten Flugblätter befleißigten sich nämlich einer Deut- lichkeit, die einige andere liebe Leute bei ihren Attacken gegen den neuen Buhmann bisher vermissen ließen. Bisher wußte man nicht so recht, worum es ging, wenn über die Hochkultur hergezogen wurde, und schon gar nicht, welches Schicksal ihr ein- gentlich zugedacht war.

Den Flugblättern der „Jungen Generation” verdanken wir nun die Klarstellung, daß es keineswegs nur um die Auswüchse des Starrummels in der Kultur geht, also um Karajan, sondern um die. künstlerische Höchstleistung an sich. Und was mit ihr geschehen soll, wissen wir jetzt auch. Sie gehört abgeschafft. Nicht nur Karajan wurde genannt, sondern mit ihm gemeinsam auch gleich Karl Böhm und die Philharmoniker. Also muß nicht nur der Karąjan weg. Gerechterweise gehört auch der Karl Böhm weg, sollte er sich, uneinsichtig, wie er ist, weiterhin weigern, falsche Töne zu tolerieren. Und die Philharmoniker müssen endlich begreifen, daß sie ein bisserl schiechterzu spielen haben, denn gar zu gut ist elitär.

Eigentlich schade, daß die Hochkultur ausgerechnet jetzt abgeschafft werden soll, wo sie immer mehr von ihrer Exklusivität verliert. Die Freihauslieferung von Burgtheater-Hochkultur ist seit vielen Jahren in der Femsehgebühr enthalten, 1978 soll es mit der Übertragung extremster Hochkultur (Troubadour, Karąjan!) Emst werden. Und die heuer von der Arbeiterkammer organisierte, so erfolgreiche Tournee der Staatsoper durch die Bundesländer wird ja auch kaum eine Eintagsfliege bleiben. Die Oper reist zwar mit einem lustigen, komödiantischen Werk, und das wird auf Deutsch gesungen, aber nicht, um den Menschen die noch höhere Hochkultur vorzuenthalten, sondern nur, um ihnen den Zugang zur Hochkultur etwas zu erleichtern. Und siehe da, die Menschen finden Freude an ihr. Selbst die extremsten Auswüchse der Hochkultur, Karąjan, Philharmoniker, Verdi auf Italienisch, beziehen immer mehr Menschen preiswert aus dem Plattengeschäft und spielen sie sich auf keineswegs mehr unerschwinglichen HiFi-Plattenspielem vor. Die Abschaffer der Hochkultur werden sich beeüen müssen. Sonst sind die ökonomischen Barrieren, die den Zugang zur Hochkultur erschweren, inzwischen auf Rudimente zusammengeschmolzen.

Und die der Bildung und des Interesses? Da muß man den Hochkultur- Abschaffem leider sagen,’daß die Kultur noch lange nicht endet, wo das Interesse und das Verständnis eines repräsentativen Bevölkerungsquerschnittes oder gar einer soliden Mehrheit nicht mehr mitkommt. Wer das undemokratisch findet, sollte sich lieber der Aufgabe widmen, dieses Interesse und Verständnis zu wecken. Und wer der Hochkultur - mit Recht! - vorwirft, daß sie ihre Höchstleistungen heute nicht neu-, sondern nachschaffend hervorbringt - erst recht. Denn eine der -Voraussetzungen für neue kulturelle Entwicklungen, für die Entstehung neuer literarischer, dramatischer, musikalischer Werke, ist die Teilnahme sehr viel breiterer Schichten als heute an der - Hochkultur.

Neue Werke entstehen nämlich nur aus der Auseinandersetzung mit alten.

Die Hoffnung auf eine spontane neue Kultur ohne Auseinandersetzung mit der bestehenden ist reine Mystik. Und reine Mystik (im_negativen Sinn) ist die Hoffnung auf eine Kultur, die sich nicht an Höchstleistungen orientiert. An der vielzitierten „Basis” entsteht nicht Kultur, entsteht nicht Kunst, solange Kunst nicht den Weg dorthin gefunden hat. Was an der Basis sehr wohl zu finden ist, das sind die Talente. Das ist das Potential an Menschen. Es ist aber sehr leicht, sie zu ruinieren - beispielsweise, indem man sie davon überzeugt, das „Produzieren” von Kunst sei ein mit der linken Hand zu erledigender Job.

Seltsam, daß so viele liebe Leute, die den Leistungszwang in der Wirtschaft abbauen und die „extreme Hochkultur” kappen wollen, von Fußballern und Schirennläufem ungerührt hartes Training und höchsten Einsatz fordern. Vielleicht liegt es daran, daß sie ihr eigenes Betätigungsfeld nicht im Sport, sondern eher auf kulturellem Gebiet sehen. Und das Kappen der Hochkultur führt zwar sicher nicht zu einer neuen Kultur - aber das, was dann noch entsteht, läßt sich vielleicht leichter als Leistung verkaufen.

Fortschrittlich ist das allerdings nicht. Fortschrittlich ist es nicht, wenn man die kulturelle Höchstleistung, das Streben nach immer höherer Perfektion, zum Buhmann macht. Fortschrittlich ist es nicht, wenn man die Abschaffung oder Einschränkung von etablierten Kunstformen just in dem Moment fordert, da sie endlich jene erreichen, die so lange von ihnen ausgeschlossen waren. Und es ist nicht fortschrittlich, sondern Erzreaktionär, wenn man die Sumper aller Schattierungen in ihren kunstfeindlichen Ressentiments, in ihrem Wos- brauch-ma-des-Schlaf, in ihrem Behagen in der Unkultur bestärkt. Daß solche Sumper auch in die Oper gehen, ändert nichts daran.

Die Hoffnung auf eine spontane neue Kultur ohne Auseinandersetzung mit der bestehenden ist reine Mystik. Und reine Mystik (im_negativen Sinn) ist die Hoffnung auf eine Kultur, die sich nicht an Höchstleistungen orientiert. An der vielzitierten „Basis” entsteht nicht Kultur, entsteht nicht Kunst, so- lange Kunst nicht den Weg dorthin ge- funden hat. Was an der Basis sehr wohl zu finden ist, das sind die Talente. Das ist das Potential an Menschen. Es ist aber sehr leicht, sie zu ruinieren - bei- spielsweise, indem man sie davon überzeugt, das „Produziėren” von Kunst sei ein mit der linken Hand zu erledigender Job.

Seltsam, daß so viele liebe Leute, die den Leistungszwang in der Wirtschaft abbauen und die „extreme Hochkul- tur” kappen wollen, von Fußballem und Schirennläufem ungerührt hartes Training und höchsten Einsatz for- dem. Vielleicht liegt es daran, daß sie ihr eigenes Betätigungsfeld nicht im Sport, sondem eher auf kulturellem Gebiet sehen. Und das Kappen der Hochkultur fuhrt zwar sicher nicht zu einer neuen Kultur - aber das, was dann noch entsteht, läßt sich vielleicht leichter als Leistung verkaufen.

Fortschrittlich ist das allerdings nicht. Fortschrittlich ist es nicht, wenn man die kulturelle Höchstleistung, das Streben nach immer höherer Perfek- tion, zum Buhmann macht. Fortschrittlich ist es nicht, wenn man die Abschaffung oder Einschränkung von etablierten Kunstformen just in dem Moment fordert, da sie endlich jene erreichen, die so lange von ihnen aus- geschlossen waren. Und es ist nicht fortschrittlich, sondem Erzreaktio- när, wenn man die Sumper aller Schat- tierungen in ihren kunstfeindlichen Ressentiments, in ihrem Wos- brauch-ma-des-Schlaf, in ihrem Beha- gen in der Unkultur bestärkt. Daß sol- che Sumper auch in die Oper gehen, ändert nichts daran.

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