6583026-1951_28_14.jpg
Digital In Arbeit

Freistildiskussionen über Kunst?

Werbung
Werbung
Werbung

Seit mehr als fünfzig Jahren sind die Vertreter der bildenden Kunst in zwei Lager gespalten: in das der Traditionalisten und das der Modernen. Die Auseinandersetzungen zwischen beiden haben in diesem halben Jahrhundert nichts an Schärfe verloren. Sie sind, dank der Einmischung politischer und anderer Ideologien in Kunstfragen, im Gegenteil umfangreicher und erbitterter geworden. Gelegentliche hemmungslose Attacken der Rückschrittler, die heute noch so malen oder bildhauern möchten, wie man es vor dreihundert Jahren getan hat, und jener Hyperavantgardisten andererseits, die da dem holden Wahn des Verkanntseins leben, verleihen den theoretischen Debatten etwas Abenteuerliches.

Mögen diese Auseinandersetzungen auch bisweilen müßig klingen und bedenklichen Mangel an Niveau aufweisen: sie sind doch notwendig. Es hat sie immer gegeben und wird sie immer geben. Glücklicherweise, denn zum guten Teil hängt es von ihnen ab, ob von der Kirnst die stets drohende Gefahr der Erstarrung in einmal gefundenen Formen ferngehalten werden kann oder nicht. Und daß derlei Debattenum Wert und Unwert gegenwärtiger Kunst im schärfsten Ton geführt werden, ist nur natürlich. Man bedenke: der Kunst wurde in den letzten fünfzig Jahren die Aufgabe der Prophezeiung, der Wahrheitsfindung zugewiesen und sie hat diese Aufgabe — nicht ohne wiederholte Auflehnung — schließlich auch übernommen. Dem Künstler wurde, gewiß nicht zu seinem materiellen Vorteil, höchste Verantwortung übertragen. Sollte ihn das nicht berechtigen, den eigenen Standpunkt mit aller Entschiedenheit zu verteidigen und abzugrenzen? Wenn man glaubt, der Wahrheit auf der Spur zu sein oder besondere Einblicke gewonnen zu haben — und welcher Künstler glaubte das nicht? —, darf man wohl auch einmal kräftige Worte gegen die Zweifler aussprechen ...

Nein, solche Auseinandersetzungen und Auslassungen haben schon ihre' tiefere Berechtigung. Schlimm und zutiefst be*-dauerlich ist jedoch die Gehässigkeit, in die sie hierzulande seit zwei Jahren einzumünden drohen. Die Einsicht, daß der .abstrakte“ Maler und der Naturalist bei aller Verschiedenheit ihres Stils eben doch Angehörige einer und derselben Zunft sind, deren Arbeitsethos für beide als verpflichtend gelten muß, ist längst von böser Mißgunst verdunkelt worden. Längst nicht mehr scheinen die bildenden Künstler — oder doch wenigstens die gewissen Beweglichen unter ihnen, die sich zu Wortführern machen — darauf bedacht, die Ehre ihres Standes hochzuhalten oder zu bewahren. Da werden in aller Öffentlichkeit Intrigen gesponnen, Denunziationsschriften versandt, privateste Dinge publik gemacht und die Zeitungsredaktionen mit Protesten überhäuft, weil Kritiker es wagen, einen Künstler zu loben, dem seine Kollegen aus weiß der Himmel welchen Gründen nicht gewogen sind. Die Berufsvereinigungen spalten sich auf, es finden neue Sezessionen statt — gut, warum nicht? Es ist Geschmackssache, ob man diesem oder jenem Verein angehören will. Aber es ist traurig, sehen zu müssen, wie aus Berufsverbänden Festungen gemacht werden, aus denen man — ein Vereinsname im Titelkopf verleiht dem Beschwerdebrief Gewicht —, gut gedeckt seine Gegner nach Herzenslust an- und abschießen kann. Und da werden schließlich auch noch die breiten Massen der Banausen und die kleinen Zirkel der Snobs mobilisiert und die Öffentlichkeit zur Zeugenschaft aufgerufen. Und das ist das Ärgste.

Niemals fiele es einem Arzt oder einem Rechtsanwalt ein — sie wären denn schlechte —, Streitigkeiten mit Berufskollegen vor der Öffentlichkeit auszutragen. Sie wissen sehr wohl, daß sie damit das Vertrauen ihrer Klientel einbüßen würden. Die Maler und die Bildhauer aber? Glauben sie im Ernst, daß das Publikum Unterscheidungen zwischen den Schreiern und den anderen, die da in Ernst und mit Noblesse ihrer Arbeit nachgehen, treffen wird? Es nimmt amüsiert an den Streitereien teil, die durch die Tagespresse ausgebreitet werden, und es ist ihm ziemlich gleichgültig, ob der Angegriffene diese oder die andere Stilcouleur trägt. Man höre seine Meinung, wenn sie vor den Bildern einer Ausstellung laut wird. Mit herzlicher Anteil-

nahme hat sie nichts mehr zu tun. Man kann — und man ist auf dem besten Weg dazu — aus dem Kunstbetrieb, ohne den es nun leider einmal nicht geht, ein Variete machen. Das Publikum wird nichts dagegen haben, sondern mit Vergnügen den Künstler sich in einen Clown verwandeln sehen ...

Die Öffentlichkeit steht bei uns der bildenden Kunst verständnislos gegenüber. Aber sie hat zugleich immer noch einen summarischen Respekt vor allem, was mit öl gemalt oder aus Holz, Ton und Bronze gebildet ist, ein durchaus naives Gefühl der Ehrfurcht vor Dingen, deren Wichtigkeit und Bedeutung es ahnt. — Für den, der die Verhältnisse kennt, ist es klar, daß sich in diese Haltung auch ein wenig schlechtes Gewissen mischt: man geht nicht jahrzehntelang an Dingen vorüber, von deren Wert man im stillen überzeugt ist, ohne endlich Gewissensbisse ob der eigenen Passivität zu verspüren.

Dieses schlechte Gewissen, das die Öffentlichkeit zu Gläubigern der Kunst macht, wird durch die verfehlte Haltung der Künstler geradezu sanktioniert. Man fühlt sich erleichtert, wenn der, dem man Unrecht getan hat, schlechte Manieren zeigt. Die Folgen werden über kurz oder lang nicht ausbleiben. Und jene, die sich zu Sprechern höchst unkotfegialer Wortkriege machten, werden eines Tages plötzlich erkennen müssen, daß sie auch den Ast abgesägt haben, auf dem sie, ohne es zu ahnen, selbst gesessen sind ...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung