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... ohne als Banause gebrandmarkt zu werden.,

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Bin ich eigentlich ein oberflächliches, kulturloses und nur noch dem materiellen Wohlstand verpflichtetes Geschöpf, nur weil ich mitunter den Mut habe, mich von der Schönheit naiver Volkskunst tiefer und nachhaltiger beeindruk-ken zu lassen als von den schwer verständlichen Darbietungen sogenannter moderner Künstler? Vielleicht ist meine Sensibilität

gestört, vielleicht sind die Grenzen meines ästhetischen Wahrnehmungsvermögens verzweifelt eng gesetzt, vielleicht ermangelt es auch nur meinem von den Erfordernissen der Wirklichkeit beinahe schon vernichteten Kopf nur an Intelligenz oder an der Fähigkeit zur Imagination: Aber vieles, sehr vieles von dem, was heutzutage einen Anspruch darauf nimmt, als Kunst zu gelten und sich damit in unsere Kultur zu schwindeln, verwirrt mich oder macht mich ärgerlich.

Es wird, glaube ich, zuviel Schindluder getrieben in Sachen Kunst und Kultur! Und nicht jeder zornige Jungintellektuelle oder in Ehren altgewordene Avantgardist hat schon den Stein der Weisen gefunden, nur weil er gegen eine sogenannte Hochkultur antritt und sie auf eine Weise attackiert, die beweist, daß er noch immer nicht begriffen hat, wie sehr die Gesellschaft auf Hofnarren angewiesen ist.

Selbstverständlich bin auch ich gelegentlich über die horrenden Summen erschrocken, mit denen Hochkultur hierzulande subventioniert wird. Aber das Erstaunliche daran ist, daß auch Subkultu-risten und Jungliteraten ebenso heftig wie erfolgreich das Füllhörn der öffentlichen Subvention auszunützen verstehen.

Es herrscht überraschend viel Gewalt auf der kulturellen Szene! Man braucht sich nur einmal vorzustellen, mit welch wütendem Vokabular dem geduldigen Publikum immer wieder eingeredet wird, es sei töricht und von himmelschreiender Bequemlichkeit, weil es sich von Volkskunst und Hochkultur bedienen und verdummen lasse. Und irgendwie kann man dieses Geschrei ja verstehen, wenn man weiß, daß beispielsweise ein Roman von Steimel in Millionenauflage über die Welt verbreitet wird, während selbst die interessantesten Beispiele experimenteller Prosa nur in einigen Hundert Exemplaren unters Volk kommen.

Natürlich ist das keine Frage

der Qualität. Und möglicherweise hat die experimentelle Prosa mehr mit dem Uberleben der Gesellschaft zu tun als irgendeine herzhafte Unterhaltungskunst, obgleich dafür der letzte Beweis noch fehlt. Woran es hier mangelt, hat mit Toleranz zu tun. Warum soll ich mein musikalisches Programm nicht zwischen Beethoven und griechischer Volksmusik aussuchen dürfen und Atonales

und Elektronisches ablehnen können, ohne deshalb nicht schon als lächerlicher Banause gebrandmarkt zu werden? Warum denunziert es mein ästhetisches Wahrnehmungsvermögen, wenn meine Lust auf farbige Stilleben größer ist als auf unbegreiflich Abstraktes?

Denn nach meiner bescheidenen Meinung hat auch der Männergesangverein etwas mit Kultur zu tun, hat auch Mundartdichtung ein Anrecht auf den künstlerischen Olymp und sollten innige Heimatromane dem Publikum nicht vorenthalten werden.

Freilich habe auch ich mir früher einmal eingebildet, Kunst beginne erst dort, wo sie schwer verständlich wird! Und war auch ich der egozentrischen Meinung, daß alles Populäre und Allgemeinverständliche nichts mit Kunst zu tun haben könnte, weil ja nur Elitäres einer Elite zugemutet werden darf!

Das ist nun allerdings ein gefährliches Denken, denn es schreibt diktatorisch vor, ab welcher Grenze oder ab welcher Leistung die Freude des Publikums an musischer Darbietung beginnen darf.

Es ist aber auch ein tragisches Denken, weil dadurch die ohnedies erschreckend tiefe Kluft zwischen Gesellschaft und zeitgenössischer Kunst noch erheblich vergrößert wird. Man kann nämlich diesem Publikum nicht immer ungestraft erzählen, wie wenig begabt es für Avantgardistisches sei, wenn man ihm zugleich die fröhliche Lust am Althergebrachten und Gewohnten austreiben will und ihm dadurch jede Alternative untersagt.

Der intellektuelle Hochmut gewisser Kreise in unserem Lande, der manchmal schon tragikomische Formen annimmt und sektiererisch zu werden droht, verschüttet hartnäckig den wachen Instinkt des Publikums. Aber Hochmut kommt immer vor dem Fall. Auch in der Kunst.

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