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Damals, als die Bücher Brannten

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Sie leben ja noch, die jungen Männer des Jahres 1933, die damals im Mai die Bücherhaufen auf Deutschlands Plätzen umstanden. „Deutsche Studenten marschieren wider den undeutschen Geist”, so lautete ihre Parole. Schon brannte das Feuer. Man hatte die öffentlichen Bibliotheken durchgestöbert, hatte die Bücher unliebsam gewordener deutscher Autoren zusammengetragen, und nun verbrannte man sie, brüllte im Chor die Parolen des Tages, sang im Widerschein brennender Bü- cherberge Kampflieder über Deutschland.

Menschen in den Verbrennungsöfen von Auschwitz, in den von Bomben getroffenen Häusern deutscher, englischer, polnischer Städte brannten noch nicht. Es Ibrannten nur Bücher.

Was haben sie sich gedacht, die Studenten von damals? Dachten sie wirklich, daß jüdische und nichtjüdische Autoren deutscher Zunge, Schriftsteller wie Alfred Dö- blin, Thomas Mann, Georg Kaiser, Arthur Schnitzler, Bertha von Suttner, Kurt Tucholsky und all die anderen keine bedeutenden Gestalten der deutschsprachigen Literatur waren? Keine Männer und Frauen, die das Bewußtsein und das Gewissen der Zeit genau formulierten?

Oder verbrannten sie die Bücher gerade deshalb, weil in ihnen die Wirklichkeit dargestellt war?

Glaubten sie, daß sie mit einem Akt des Terrors einen wesentlichen Teil der deutschen Literatur wirklich vernichten, den Geist — den unfaßbaren und unbesiegbaren — wirklich töten können?

Dachten sie überhaupt etwas, während sie damals, vor fünfzig Jahren, die Bücher verbrannten?’Oder waren sie bloß erfüllt vom schwärmerischen Gefühl des Triumphes? Vom Gefühl, zu den Herrenmenschen zu zählen und endlich in aller Öffentlichkeit hassen zu dürfen?

Ich habe noch keine Memoiren gefunden, keine einzige Zeile eines Textes gelesen, in dem einer der damaligen Bücherverbrenner gesagt hätte: Unsere Überlegungen damals lauteten … unsere Gefühle waren … ich weiß heute, daß ich ein Verbrecher war, es tut mir leid.

Wir, Jüngeren, sind auf Mutmaßungen angewiesen. Wir können die Beweggründe nur ahnen, nicht wirklich begreifen. Für uns ist die Bücherverbrennung ein erster Akt in der blutigen Rebellion der Barbarei gegen die europäische Kultur, gegen den Geist schlechthin.

Wir wissen, daß wir wachsam sein müssen. Auch heute werden in einem Teil unseres Kontinents Bücher verfolgt, verboten, vernichtet. Auch bei uns gibt es politische Extremisten (und ob sie sich selbst Linke oder Rechte nennen, ist egal), die nur darauf warten, Bücher dös Wissens und des Gewissens zu verbrennen. Der Geist ist unsterblich, aber das Leid, das solche Mörder über die Menschheit bringen, ist unermeßlich. Wehrt den Anfängen? Ja. Immer und überall.

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