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Das Weihnachtswunder für die Kinder

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Hatte zu Weihnachten der Christbaum, auf das Untergestell der für diese Festzeit beurlaubten, demontierten drallbusigen Schneiderpuppe montiert, die dumpfe, drangvolle Raumnot in der Wohn- und Nähstube noch mehr eingeengt, erfüllte sich Tante Anna ihren langgehegten Wunsch eines kleinen Weihnachtswunders für die Kinder. Niemand außer Tante Anna hätte dergleichen erdacht. Sie sparte dafür, sie hatte dafür gesammelt, was ihr das Jahr über im Garten und Wald, bei Sonntagsspaziergängen, beim Ausflug zum Bradelstein an bunten Kieseln und Glimmerschieferplättchen, Wurzelwerk, Moospolstern, Zweigen, Rindenstücken, Flechten aufgefallen war, gefallen hatte. In den Adventnächten schnitt sie Schachtelkarton, Papier zurecht, klebte, kleisterte; stärkte Leinwand, leimte, formte, bestreute sie mit Sand, als Berge; aus Strohhalmen band sie eine kleine Matte als Stalldach. Sie räumte dieser Überraschung den Deckel der riesigen Truhe ein, der ihr eigentlich als Zuschneidefläche bei der Näharbeit unentbehrlich war. Sogar Vater Franz fügte soviel Fleiß und heimlicher Nachtarbeit mit seiner Fähigkeit dem Zauberwerk ein Glanzlicht hinzu.

Es begeisterte Berti, Wolfi freute sich, Joschi, auf Mamis Arm, staunte mit runden Augen. Auf glitzernden Bergen drängte sich Haus an Haus, mit Zinnen an den Rändern flacher Dächer, mit roten Glaspapierfenstern, von Kerzenstümpfchen erhellt, in dem verschlafenen Bergnest mit skurrilen Bäumen, mit Palmen in winzigen Gärten und Höfen an steilen Straßen. Die dort wohnten, ruhten von ihres Alltags Plage, schliefen einem neuen Arbeitstag entgegen. Oder sie lagen, erschöpft von weiter Wanderung am Vortag. Die droben noch wachten, waren krank, schlaflos. Oder gesund und zechten in übervollen Gaststuben, feierten mit Verwandten, die sie seit Jahren nicht besucht, erst anläßlich der Volkszählung wiedergesehen hatten. Finsternis in der Burg auf höchstem Felssockel, dort lagen Gefangene in Ketten, in Verliesen. Niemand von denen oben und jenen im Städtchen unten ahnte, was sich in dieser Nacht begab. Unter dem Strohdach. Über dem an dünnem Draht ein Engel zitterte, schwebte. Er lockte die kleine Schar Hirten mit ihren zwei Herden zu einem eigentlich skandalösen Geschehen. Spital gab es keines. Keine Herberge hatte Platz gehabt für eine Hochschwangere, in einem Stall mußte sie gebären. - Das von Vater Franz montierte, von einer Batterie gespeiste Lämpchen erhellte die Szene: das Neugeborene in einem Futtertrog, daneben eine liebliche Mädchenmutter, auf der anderen Seite ein alter Mann, dahinter frommes Vieh, Ochs und Esel.

Es muß im Jahr nach dieser Krippenweihnacht gewesen sein, als zuerst ich, danach vor den Feiertagen Wolfi, dann Berti Schafblattern bekamen, bei Tante Anna in Quarantäne gehalten wurden, um Joschi vor Ansteckung zu bewahren; ich, schon immun, eben weil es verboten war, die von Windpocken Getüpfelten besuchte. Ich schlich mich immer wieder ein, im bleichen Winterlicht, vor Einbruch der frühen Dunkelheit.

Ich liebte die Stimmung der Vorbereitungen im Haus der Wassergasse, im frühen Dezemberdüster, vor Einbruch der tiefsten Düsternis des Jahres; sah Tante Anna beim Basteln der Überraschungsgeschenke zu. Berti, obwohl betäubt vom Fieberschlaf im Gitterbett, belauerte blinzelnd doch Tante Anna, belauschte ihr Gespräch mit der Großmutter. Tante Anna bastelte eine Waage, die sich Wolfi gewünscht hatte. Hielt ich Berti vor, er verstelle sich, schwindle, mißverstand ich wieder einmal etwas: Berti genoß den sonderbaren Zustand zwischen Traum und Tag, ununterscheidbar Fieberwahn und Wirklichkeit, weil solcher Traumraum Wünsche erfüllte, wie er es eben erlebte, als er in Tante Annas

Händen die Waage sah, mich neben dem Bett fand. Wolfi fuhr bei dem Flüstern aus dem Schlaf, rappelte sich auf, hakte dabei die Stange mit dem Netz aus der Verhakung, fiel damit kopfüber aus dem Gitterbett, kam sofort, ohne Wehgeschrei und Weinen hoch; er hatte seine Waage gesehen, bevor sie Tante Anna verbergen konnte.

In jenen Jahren erlebte ich mit dir, Berti, den Advent als große Erwartung bei euch, im heimlichen Gehäuse, in der linken Haushälfte, die, um den großen Herd und Backofen gebaut, Wärme und Sicherheit gab während der jährlich wiederkehrenden Eiszeit. In der anderen Haushälfte, von Vater Franz und Mami Marie bewohnt, ging es nüchterner zu. Wie bei mir daheim; wo diese Vorweihnachtszeit trotz aller Bemühungen Austels dank meiner Mama ohne jene heimlige Erwartung blieb. Obwohl man Geschenke kaufte. - Und ich suchte nach Besuchen bei Berti Versöhnung mit meinen zahlreichen Feinden, sprach sie gnädig freundlich an, vergeblich: Die Wassergäßler Kerle, gegen Pest und Pocken gefeit, hielten meine Friedensliebe für den ganz gemeinen Versuch, sie mit den Schafblattern zu infizieren; bei denen galten Hackordnung und Kriegslust,v nicht aufweichende Sentimentalität, weiche Weihnachtsstimmung. Aber am Nachmittag des ersten

Weihnachtstages hielt ich es auch im nächsten Jahr daheim nicht aus, fand euch vor der Krippe versammelt, auf allen verfügbaren Schemeln und Polstern kniend, Rosenkranz betend: Den du, o Jungfrau, zu Bethlehem geboren hast. Als Überraschung für alle und für mich: Sogar Vater Franz kniete und murmelte mit. Überwältigt von Kindheitserinnerungen? - Ich hatte bis dahin nur die Krippe gekannt, die in der Sankt-Anna-Kapelle unserer Pfarrkirche einen ganzen Nebenaltar mit biblischer Landschaft und zahllosen Figuren bedeckte. Was Tante Anna auf der Truhe aufgebaut, sah ich mit der Freude, die mir heute naive Malerei bereitet; ohne Kritik oder Spottlust. Ich beneidete Berti. - Im Januar kamen die drei Könige mit Dromedaren, Araberroß, Mohrendienern zum Krippenvolk in die phantastische Landschaft. Holzfigürchen, als Heimarbeit in Familienbetrieben des Erzgebirges für Hungerlohn geschnitzt und bemalt. Aus: VOR DEM FENSTER DIE NACHT. Von Ernst Vasovec. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Styria Verlages.

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