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Der größte Theatermann

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Ein großes Buch über einen großen Mann. Ein liebenswertes Buch über einen liebenswerten Mann. Und ein Buch, das alle lesen müßten, die sich für Theater interessieren.

Eine Biographie ist es nicht, die Gottfried Reinhardt, Regisseur, Skriptautor, Filmregisseur, Produzent, über seinen Vater, den herrlichsten Theaterregisseur unseres Jahrhunderts und vermutlich vieler Jahrhunderte, geschrieben hat. Er nennt das Buch „Der Liebhaber“: ein zuerst befremdlicher Titel, der einem erst allmählich klar wird, und „Erinnerungen seines Sohnes“.

Nein, keine Biographie (die sozusagen mit der Geburt anfängt und mit dem Tod aufhört), eher ein Mosaik, zusammengesetzt aus tausend Steinchen, tausend Episoden, tausend Erinnerungen, interessante und theaterhistorisch wichtige Details.

Der Rahmen: Das langsame und qualvolle Sterben des durch verschiedene Schlaganfälle schließlich völlig gelähmte Theatergenies, der schon in den letzten Jahren seines Lebens fast zur Untätigkeit verdammt war, er, der sein Leben lang mit Hochdruck arbeitete, in manchen Jahren in vier, fünf Theatern inszenierte, seinen Theatern übrigens in Berlin und in Wien, und Gastspiele

gab in London, in Paris, in St. Petersburg — das hieß damals noch so — und in New York.

Die Erinnerungen: die seinem Sohne kommen, der seinen Vater in den letzten Wochen kaum noch aus den Augen läßt.

Der Sohn: gestehen wir's, wir hatten ein bißchen Angst gehabt. Es ist immer so eine Sache, wenn Söhne Bücher über ihre Väter schreiben. Sie haben selten den Sinn für Proportionen, für das, was die Öffentlichkeit zu interessieren vermag, für das, was vielleicht nur im engeren Kreise verständlich wird. Hier ist es anders. Dieses Buch ist aus der nächsten Nähe und zugleich aus der kritischen Distanz geschrieben. Es ist viel Privates in diesem Buch — soweit man in bezug auf Max Reinhardt, der ein Leben lang im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stand, von Privatem sprechen kann — aber nichts Peinliches und schon gar nichts Uberflüssiges.

Wir sehen ihn wieder, als sei er immer noch am Leben: den Mann mit dem einmaligen Charme, den Zauberer im Leben und auf der Bühne, wir sehen die vielen hundert Vorstellungen wieder, wir erleben noch einmal all das, was wir mit Recht für einmalig hielten.

Es ist unmöglich, hier in ein paar Sätzen sein Leben zu erzählen, das eigentlich nur aus Plänen zu Aufführungen bestand, aus Plänen, Schauspieler zu entdecken und zu entwickeln. Man müßte das ganze Buch noch einmal erzählen. Man müßte berichten von dem kleinen Judenjungen aus Wien, der eigentlich hätte Kaufmann werden sollen und dann vom Theater fasziniert wurde — sein Lieblingshaus war die Wiener Burg, und er sagte einmal, er habe dort nie eine Vorstellung sitzend gesehen, sein Geld reichte nie zu mehr als zu einem Stehplatz auf der vierten Galerie.

Ein glücklicher Zufall brachte ihn nach Berlin, in die strenge Lehre des Hauptmann-Endeckers und zweifellos bedeutendsten Theaterdirektors Otto Brahm, er spielte jahrelang kleine Rollen, um dann eines Tages auszubrechen und ein Kabarett aufzumachen, dann ein kleines Theater, dann ein größeres, um zuletzt Herr des Deutschen Theaters zu werden, der damals bedeutendsten Bühne Europas, und dann kamen noch viele, viele andere Theater.

Die Schauspieler kamen zu ihm, und viele holte er aus der Provinz,

und ville zeitgenössische Dichter und Schriftsteller führte er auf, von denen andere gesagt haben, sie seien gar nicht spielbar ...

Aber das alles muß man lesen, wie der Sohn es geschrieben hat, liebend und bis ins letzte Detail genau.

Ich erinnere mich, daß ich vor einigen Jahren meinem Verlag vorschlug, ein Buch über Reinhardt zu machen. Ich kannte ihn ja und kannte ihn gut seit frühester Jugend. Der Verlag meinte damals, nein, Reinhardt sei zu lange tot, niemand erinnere sich seiner mehr, ein Buch über ihn sei sinnlos.

Dieses Buch widerlegt es. Reinhardt ist nicht tot. Nicht, so lange einer der zahlreichen Schauspieler, die mit ihm arbeiteten, oder irgend jemand, der mit ihm zu tun hatte, am Leben ist oder auch nur einer, der eine seiner herrlichen Aufführungen sah, oder auch nicht, solange es dieses Buch gibt.

DER LIEBHABER. Erinnerungen seines Sohnes Gottfried Reinhardt an Max Reinhardt. Droe-mer-Knaur. 408 Seiten mit 66 Photos. Preis DM 29.50.

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