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Der Kampf gegen das Vorurteil

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Auch heute noch werden sie im besten Fall schief angesehen: Gute fünfzehn Jahre, nachdem Wohngemeinschaften aktuell - sprich: unter vorwiegend jungen Menschen „in” - wurden, kämpfen die Kommunarden immer noch gegen weitverbreitete Ansichten, die bei näherem Hinschauen sich mitunter als Fehlurteil erweisen.

Josef St., 25 Jahre alt und einer von sieben in einer Großwohnung im achten Wiener Gemeindebeizirk, versucht die Schwierigkeiten zu erläutern: „Bei uns im Haus glauben so ziemlich alle Mitbewohner, daß bei uns Gruppensexorgien und so was abgehalten werden -kein Wunder, denn wir sind vier Burschen und drei Mädchen”.

Dennoch aber, so meint er, würde ein Blick „hinter die Kulissen” nützlich sein und ganz andere Motive zutage fördern, als es bislang der Fall ist: „In allererster Linie sind es finanzielle Gründe - fünf von uns studieren noch, ein paar kommen vom Land und haben einfach nicht genug Geld, um sich als Alleinmieter durchs Leben zu schlagen.” Also griff man mittels Inserat zur Selbsthilfe - und fand einige Gleichgesinnte.

„Die Vorurteileder Leute halte ich einfach für dumm - und daß unsere Art des Zusammenlebens unmoralisch sein soll, verstehe ich überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich könnte nur jedem Skeptiker raten, sich einmal ein paar Tage bei uns umzuschauen - da hilft einer dem anderen, da wird gemeinsam gekocht, geputzt, am Wochenende etwas unternommen. Ich würde sagen, wir sind einfach eine jener Großfamilien, wie es sie heute fast nur mehr in den Ländern der Dritten Welt gibt . . .

Jeder hat sein Zimmer bzw. Kabinett, es gibt zwei Bäder, eine gemeinsame Küche, ein Wohnzimmer für alle; fast alles ist selbst zurechtgezimmert worden, jeder hat nach seinen Fähigkeiten mitgeholfen, mit möglichst wenig Geld möglichst viel zu erreichen.

Eine ungetrübte Idylle also?

„Na, das nun wieder auch nicht so ganz - denn natürlich gibt es manchmal Ärger”; Josef und die gerade dazugekommene Angelika bestätigen das unisono: Zum Beispiel, wenn irgendjemand mehrere Freunde einlädt und es auch zu mitternächtlicher Stunde noch mehr als laut zugeht. Oder wenn einer unter persönlichem Druck steht und das die anderen unverblümt spüren läßt . . .

„Da gibt's dann nur eines: Unsere Konferenz, die wir einmal in der Woche und bei Bedarf auch außertourlich abhalten, und wo es dann auch recht hitzig zugehen kann: da diskutieren wir dann alle Schwierigkeiten - und bis jetzt hat sich zum Glück immer noch ein Ausweg gefunden.”

Rechtlich betrachtet ist diese Gemeinschaftswohnung ein wenig umstritten: So fordert die österreichische Hochschülerschaft schon seit langer Zeit, bei Unterzeichnung des Mietvertrages möglichst alle Bewohner des Mietobjektes als Hauptmieter in den Vertrag mit einzubinden - anderenfalls könnte es passieren, daß im Falle einer Kündigung alle Wohnungsinsassen ebenfalls vor die berühmte Tür gesetzt werden.

Und auch die Vertreter der Interessenverbände schlagen in diese Kerbe: Denn falls es als „sittenwidrig” bzw. „unsittlich” erscheint, was da hinter Wohnungstüren passiert, kann der Hinauswurf relativ leicht durchgesetzt werden.

Schließlich übt sich auch die Kirche in Zurückhaltung: Derartige Wohngemeinschaften, so heißt es, hätten zwar mit den urchristlichen Basisgemeinden von der Konstruktion her durchaus Anknüpfungspunkte - aber das „Leben ohne Trauschein” zweier Unverheirateter auf gemeinsamem Wohngebiet ebenso wie Wohngemeinschaften wären dazu geeignet, die Basis der Familie im eigentlichen Sinn zu unterminieren.

„Wer sich ernsthaft mit unserer Form des Zusammenlebens auseinandergesetzt hat und zu einem negativen Ergebnis gekommen ist, wird dazu sicher seine guten Gründe haben, die wir auch respektieren”: Angelika widerlegt mit ihrer Aussage den Vorwurf des Ei-genbrötlertums, der vielen derartigen Wohngemeinschaften - „manchmal muß man sagen, leider zurecht” - gemacht wird, weil sie die Meinung anderer nicht akzeptieren wollen. „Aber genauso wie wir das Verhalten anderer zur Kenntnis nehmen, müßte es doch möglich sein, auch unsere Vorgangsweise zu tolerieren.”

Quasi ein Wunsch nach Zusammenleben im übergeordneten Sinn ...

MICHAEL KOCH

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