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Der „Ribitzik“

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Die kochen eben auch nur mit Wasser…

Wunders viel war mir gesagt worden über die Vorzüge, über die unleugbare Überlegenheit des bundesdeutschen Fernsehens, und unlängst war es dann so weit: Ich — Redaktion und Leserschalt mögen mir noch einmal, noch ein allerletztes Mal die Ichform verzeihen — ich hatte Gelegenheit, im obderennsischen Innviertel die Nachrichtendienste des nordwestlichen Nachbarn einzuschalten, ich schaute ARD, ich schaute ZDF. Und siehe, sie kochten auch nur mit Wasser. Gewiß, Originalreportagen liefen da, weil Geld keine Rolle spielte, länger, waren deshalb aber kaum informativer; Interviews entwickelten sich schärfer, prägnanter, kürzer, daher aber auch unnatürlicher, manipulierter…

Und dann widerfuhr mir, daß in einem der Texte (von sehr sympathischen und soignierten Herren verlesen) von einer „Groddah adsurah“ die Rede war, womit natürlich nur Capris Blaue Grotte gemeint sein konnte; daß

„Ge-munden", weil am Traunsee gelegen, sich nach dem ersten Schock immerhin noch als Salzkammergutstädtchen identifizieren ließ; daß aber jeglicher Versuch mißlang, den oder das „Ri- bitzik“ in jene Außenpolitik einzuordnen, in der von ihm des Langen und Breiten die Rede war. Wer oder was war „Ribitzik“?

Während der restliche Nachrichtenschwall wie im Traume an mir vorüberzog, arbeitete mein Unterbewußtes intensiv wie eine Registrierkasse und spie schließlich klingelnd, mitten hinein in einen Belfaster Straßenkampf, das Resultat aus, wonach unter dem „Ribitzik“ der jugoslawische Politiker zu verstehen sei, der hierzulande bei außenpolitisch Interessierten als Herr Ribi- tschitsch, geschrieben Rtbiötö, bekannt ist und dank dem Nachrichtendienst des österreichischen Rundfunks auch allgemein richtig ausgesprochen wird. Und an diesem Punkte, finde ich, sollte die nordische Gemütlichkeit aufhören, sollte germanische Schlamperei ihre Grenzen haben.

Gewiß, fast alle großen Nationen des Westens leben auch heute noch in ihrem unversehrten Kinderglauben, die ganze übrige Welt denke, spreche und schreibe wie sie selber. Kein aufrechter Angelsachse wird sich demnach von seiner konsequent falschen Orthographie (etwa „Hapsburg“ statt Habsburg, „Krutchev“ statt Chruschtschow), von seiner falschen Sicht der Dinge jemals abbringen lassen (was übrigens nicht Unwesentliches zu den kolossalen Fehlleistungen auf dem Gebiet der Weltpolitik beitrug, unter denen die Völker seit 1918 und seit der Konferenz von Jalta stöhnen); auch wird jeder Franzose sich so lange einbilden, er könne Worte nicht anders als auf der letzten Silbe betonen, bis man ihm an Hand seiner eigenen heimischen Dialekte das Gegenteil beweist. Deutsche werden ihre von Filmen und Illustrierten geprägten Klischeevorstellungen auf Urlaubsreisen in alle Welt tragen und nach wie vor Wiener Tücke mit Charme, alpenländische

Geschäftstüchtigkeit mit Folklore verwechseln und in dem ketzerischen Irrglauben sterben, daß die Ungarn böhmakeln. Und nur die um Präzision bemühten Italiener versuchen reinen Herzens, fremde Worte peinlich korrekt hervorzubringen, stolpern dabei aber über ihre tatsächliche physische Unfähigkeit, ein „H“ herauszuwürgen oder a-i und a-u zu Diphthongen zu verschleifen, so daß dann des leisen Lächelns kein Ende ist.

Kurzum: daß auf der westlichen Hemisphäre offenbar wirklich nur die Österreicher ihre ausländischen Zeitgenossen bei deren richtigen Namen nennen und eine ungefähre Ahnung davon haben, daß überseeische Örtlichkeiten meist anders ausgesprochen als geschrieben werden, ist eine noch nie beachtete und gewürdigte Glanzleistung der Nachrichtenredaktion des ORF und ihrer Sprecher insgesamt. In den Instruktionen, die jeder dieser Sprecher (nicht zu vergessen die sehr klugen, sehr hübschen und nie verlegenen Sprecherinnen) zu beachten hat, finden sich die Ausspracheregeln nahezu aller europäischen und der wichtigsten außereuropäischen Sprachen. Von ganz wenigen und ganz seltenen

Schnitzern abgesehen, die vielfach auf orthographisch fehlerhafte Texte ausländischer Agenturen zurückgehen, bekommen österreichische Fernseher und Radiohörer die Namen der Zeitgenossen und der Orte ihres Wirkens in der richtigen Form eingehämmert. Frühmorgens, mittags, abends. Was diese volkserzieherische Arbeit für ein kleines Land bedeutet, das sich neben den Großen nur durch hochspezialisierte Leistungen durchsetzen kann, wird erst dann zur Gänze verständlich, wenn man Österreichs Funktion als kulturelles Umspannwerk für eine nicht allzu ferne Zeit voraussieht, in welcher Grenzen, auch stacheldraht- bewehrte, immer mehr zu imaginären Linien verblassen werden.

Österreich hat die kleine, aber ungeheure Chance, seine Nachbarn besser zu verstehen als irgendeine der großen und mächtigen Nationen, eine Chance, eine Bereicherung, eine Horizonterweiterung, die nicht vom Himmel fielen und die nicht zu allerletzt der gewissenhaften, mühevollen Klein- und Alltagsarbeit sämtlicher ORF-Sprecher und -Sprecherinnen zu danken ist.

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