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Der Widder und der Wald

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Eine Episode, die den manchmal grotesken Kampf zwischen Alt und Neu beleuchtet, hat der frühere Außenminister Karl Gruber aufgezeichnet. Seine kleine Erzählung rührt an Dinge, die die Gemüter bewegen - und nicht nur in Spanien.

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Eine Episode, die den manchmal grotesken Kampf zwischen Alt und Neu beleuchtet, hat der frühere Außenminister Karl Gruber aufgezeichnet. Seine kleine Erzählung rührt an Dinge, die die Gemüter bewegen - und nicht nur in Spanien.

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Der deutsche Botschaftsrat Erich Hartmann, seit zwei Jahren in Paris an der Botschaft seines Landes, hatte im Gefolge einer Spanienreise ganz im Süden ein Stück Land erworben, hauptsächlich um den kalten Wintern seiner hessischen Heimat zu entfliehen.

Er ging nun entschlossen daran, die Trockensteppe in eine grüne Landschaft zu verwandeln. Zwei Nachbarn hatten sich auch schon eingefunden, der Schweizer Hans Buri und der Engländer John F. Peek, und alle zusammen hatten auch bereits mittels einer dünnen Röhre einen mehr oder weniger konstanten Wasserzufluß geschaffen.

Rundum gabs nur Trockensteppe, da und dort von braunen Büscheln und einigen Dornsträu-

ehern belebt. Sie war die ausschließliche Domäne der Schafe und Ziegen, die sich meist um einen Esel scharten.

Ein besonderes Kapitel waren freilich die Ziegen. Die Hartmanns hatten oft stundenlang den kleinsten Zicklein zugesehen, wie diese vom höchsten Felsen herunterpreschten. Fast schon am Abgrund erwischten sie einen der grünlichen Büschel und mußten dann wohl erkannt haben, welche Gefahr weiter unten lauerte. So sanken sie auf ihre Hinterteile und schoben sich vorsichtig den steilen Felsenhang wieder hinauf.

Diese Spielfreude der Ziegenkinder wurde aber wettgemacht durch die altberüchtigte Ziegengewohnheit, frischgesetzten Bäumen die Rinde abzufressen und deren Wipfel zu kappen. Meist überlebten nur wenige Bäumchen, und selbst diese blieben dann verkrüppelt.

Die Hartmanns hatten unweit jenes Klettergartens der kleinsten Ziegenkinder, unten, in einer feuchten Senke, ein neues Wäldchen angelegt. Da in der kleinen Senke viele Zuflüsse kamen, war sie in der Tat der ideale Ort zur Wiederaufforstung, wenn … Wenn eben nicht die Ziegen gewesen wären. Sie fanden sich bald in Scharen ein, sprangen elegant über die Umfriedung hinweg und widmeten sich dann dem ungewohnten Baumfraß.

Zum ersten Mal in seinem geordneten Leben wollte Hartmann wutentbrannt mit Steinen nach den Ziegen werfen, doch Frau und Kinder stellten sich buchstäblich vor die Ziegenkinder, und schimpften auf den Vater ein.

Am nächsten Morgen war Hartmann schon früh am Wege in das nahegelegene Städtchen und kehrte erst gegen Mittag mit einem Schlossermeister zurück. Von großen Kisten und Schachteln war allerlei Gerät und verschiedenes Material auszuladen.

Der Hausherr nahm sich kaum Zeit zum Mittagessen, und der Eisenmensch kaute gleichmütig an einem belegten Brot. Dann verschwanden die beiden im sogenannten Geräteschuppen. Die Tür wurde versperrt, und dann hörte man viele Stunden nur Hämmern und Raspeln. Erst nach dem Mittagessen des nächsten Tages war es soweit.

Die beiden Torflügel sprangen auf, und auf einer Art Heurolle kroch ein riesiges Tier aus Blech und Sperrholz ins Freie und stand nun, man hätte sagen können verlegen, in der prallen Sonne.

Es war ein Wolf, das ließ sich ohne große Phantasie sagen. Es stellte sich bald heraus, daß das Fabelwesen nicht nur auf Scharnieren den Kopf drehen und wenden konnte. Nein, sogar die einen viertel Meter lange Zunge war sehr beweglich, da sie aus einem Lederstreifen gefertigt war. Darüber hinaus konnte es auch die Augen rollen, wenn der Wind einen geheimen Propeller antrieb.

Hartmann verriet, daß sonst das Tier einen tief grollenden Laut ernst von sich geben könne, wenn der Wind kräftig genug blase. Man habe aus einer alten Trompete eine Membrane auf den Wolf übertragen.

Es vergingen noch weitere zwei Tage, bis der wölfische Roboter endlich feldreif war und im Triumphzug nach dem Schutzwald gefahren werden konnte. In wenigen Stunden war er denn auch auf seiner Felsenbastei verankert und aus gebührender Entfernung wirkte er dank des starken Levante, der an diesem Tage wehte, sehr echt und lebendig.

Es saß am nächsten Tag so gegen halb neun ein ganz stattliches Grüppchen auf jenem Hügel, der eine gute Sicht auf die Waldeslichtung bot, wie Hartmann sie poetisch getauft hatte.

Auch der Schlosser war herausgeeilt: Das mußte er mitansehen, was diese Locos mit ihren Narreteien anzurichten imstande waren.

Zunächst stand der böse Wolf noch einsam auf seiner Felsenbastion und drehte nur langsam den Kopf hin und her. Die lange rote Zunge bewegte sich drohend auf und ab, indes die Rückenhaare sich richtig sträubten.

Langsam kam die Herde von oben herunter … Als zwei der vorwitzigen Ziegenkinder in einem Satz in das Innere der Umfriedung sprangen, stieß der Wolf ein tiefes Knurren aus, die Ziegen streckten die Pfoten nach vorne, die zwei vorlauten Ziegenkinder sausten über den Zaun zurück, und die ganze Herde begann zu retirieren. Eilfüßig kletterte alles die nächste Höhenstellung hinauf.

Die Hartmanns und ihre Begleiter lachten aus vollem Halse, und die Kinderschar sah nun voll Stolz auf den erfinderischen Vater; selbst der Schlossermeister murmelte: „Eso me sorprende.“

Es dauerte danach auch nicht allzulange, und schon strömte nicht nur das ganze armselige Dörfchen herbei. Die Kunde von dem Maschinenwolf schien die ganze Gegend in Aufruhr zu versetzen.

Die Venta de los Olivos ist eine bescheidene Schenke, nicht mehr als eine schwache Gehstunde vom Schauplatz unserer Ereignisse entfernt. Dort ging es an diesem Abend hoch her. Malerische Gestalten saßen in einer Ecke bei

sammen, und ihre lauten Stimmen hätten auch Außenstehenden verraten, warum es ging: den Wolfsroboter.

Freilich waren auch die „Locals“, wie ein englischer Besucher sie bezeichnet hatte, in zwei Lager zerfallen: Der „Fortschritt“ und die „Bewahrung der Vätersitte“ spalteten die Seelen.

„Maschinen, Maschinen!“ schrie endlich ein alter Hirte. „Da habt ihr’s ja! So vernichtet man Arbeitsplätze! Wer braucht noch Hirten, wenn ein Papierwolf dasselbe tut?!“

Es ergab sich schließlich, daß die Gegner der Maschinenzeit hierorts eine klare Mehrheit bildeten. Nach einer letzten Flasche Carlos-primero wurde beschlossen, daß der Maschinenwolf zu verschwinden habe.

„Was sagst denn du, Hyrono- mo?“ wandte man sich an einen eisgrauen Hirten, der bisher geschwiegen hatte. „Was ich sage?“ antwortete der alte Hirte bedächtig. „Das ist schnell gesagt. Wir holen den Widder Jolly vom Berge: der Widder Jolly oben in der Sierra de Filabres ist mit einem amerikanischen Widder eingekreuzt, stark wie ein Büffel und mutig wie ein Löwe. Er wird den Spagatwolf wegräümen.“

Die beiden angestellten Gartenbetreuer der Herren Hartmann und Buri verrieten, was sich bald abspielen sollte. Und so kam es, daß an einem Samstagmorgen nicht nur das ganze Dorf, sondern auch die Kolonisten versammelt waren.

Die Spannung stieg. Langsam grasten sich die Schafe in ihrer kompakten Formation die Hänge herunter; die Ziegenschar jedoch fächerte nach allen Seiten auf, die Zicklein immer voran weg. Näher am Schutzwäldchen sprengten die vorwitzigen Ziegenkinder an den Zaun heran, verhielten aber ein Dutzend Meter vor diesem und rannten dann in Panik zurück.

Der Widder allerdings wandte sich aus der Herde heraus und betrachtete nun ebenfalls das Ungeheuer. Danach zog er in langen Serpentinen näher an das Wäldchen heran. Die Spanier konnten nun nicht mehr an sich halten: Es schallte ein wilder Chor ermunternder Zurufe zu dem Widder herüber.

Hartmann sah mit einer gewissen Sorge auf seine Blechkonstruktion. Er wußte gut genug, daß diese einem energischen Angriff eines so kräftigen Horntieres kaum standhalten konnte.

Die Zicklein, auf ihr neues Leittier vertrauend, begannen sich nun dem Wäldchen zu nähern, bei jedem Windstoß sprangen sie

aber weiterhin in größter Angst zurück.

So ging das eine Weile, und die Spanier gerieten außer Rand und Band. Mit feurigen Rufen versuchten sie, den mächtigen Widder zum Angriff zu reizen.

Dieser schnaufte zweimal zornig, stürmte den flachen Hügel hinauf, sprang auf die Felsenbastei und fuhr mit einem wilden Satz mitten durch den Wolf hindurch. Von diesem war der Schwanzteil nur mehr durch ein festes gedrehtes Drahtseil mit dem Vorderteil verbunden. Die Vorderpfoten, der gewaltige Kopf und die rote Zunge bewegten sich weiter, als ob sie der eigene Bauch nicht interessieren würde.

Die Nordicos sahen beschämt auf ihre Wolfsruine. Der Widder trapste langsam zu seiner Herde zurück. Dann drehte er sich um und mußte mit Staunen sehen, daß der schwarzgraue Wolf trotz des Verlustes seines Mittelteiles nichts an seiner Lebenskraft verloren hatte. Er drehte weiter die funkelnden Augäpfel in die Sonne, seine lange rote Zunge schwankte im Wind hin und her, der ganze Kopf drehte und wendete sich…

Der Widder trottete weiter nach oben näher zum Esel hin. Der Esel trompetete laut und schmerzlich in die Gegend und setzte sich nach oben in Trab. Bald war die Herde hinter dem nächsten Höhenrük- ken verschwunden.

Die Spanier zogen mit hängenden Köpfen ab. Doch schließlich sagte der Schuhdoppler, und er galt als sehr weise: „Seid unbesorgt, der Wind wird die Bäume fressen. Bald wird das armselige Drahtgestell ganz allein da oben verrosten und für die Unvernunft der Polacos zeugen.“ Bei den Nordicos freilich wurde Hartmann für die Solidität seiner Schöpfung beglückwünscht…

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