6800715-1971_33_04.jpg
Digital In Arbeit

„Der Wind der Brutalität“

Werbung
Werbung
Werbung

Kaum achtundvierzig Stunden nach dem Tag, an dem in München die Polizei einen Bankräuber erschoß, wurden in Westdeutschland fünf Geldinstitute überfallen und dabei von Gangstern rund eine Million Schilling erbeutet. Bei einem dieser Überfälle wurde nach Münchner „Vorbild" eine junge Angestellte als Geisel festgehalten.

Es kommt nicht von ungefähr, daß die Münchner Bankräuber sich einer primitiven Form des gesellschaftskritischen Vokabulars bedienten. Die Anmaßung, im Rahmen der „Vergeltungsaktion Elend" der „Roten Front" zu handeln, sollte wohl mehr als nur den Anspruch, gegenüber der Gesellschaft moralisch im Recht zu sein, unterstreichen, sondern gleichzeitig tarnen und mit der Toleranz jener kalkulieren, die angesichts einer fortgesetzt „unsozial“ apostrophierten Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik dazu tendieren, blutigen „Millionenspielen“ einen moralischen Stellenwert zu geben.

Über die möglichen Motive der Kriminellen wird in den nächsten

Tagen gewiß genug philosophiert werden. Ihr Geltungsbedürfnis, ihr Wunschdenken, ihre Anfälligkeit für die Faszination des Bösen wird — jede Wette — in Zusammenhang gebracht werden mit der Funktion und den Wirkungen der Massenmedien (Münchner Geiseln wurden bereits von bundesdeutschen Illustrierten für Exklusivberichte unter Vertrag genommen) und ganz gewiß auch mit einer unter den sozioökonomischen Zwängen des Leistungsdenkens latent gewalttätigen kapitalistischen Gesellschaft.

Welche Schlüsse lassen sich aus den jüngsten Ereignissen in der Bundesrepublik auf Österreich ziehen? Wenn es stimmt, was nun in Kommentaren vielfach behauptet wird, daß eine wesentliche Ursache der Gewalttaten darin begründet sei, daß die Massenmedien vorfabrizierte Gewalttaten in die Wohnung bringen und auf labile Außenseiter der Gesellschaft wirken, dann wäre in Österreich sehr viel Grund zur großen Sorge gegeben. Aber gegen diese Annahme spricht, daß bei nahezu gleichem Angebot der massenmedialen Produktion wie in Westdeutschland es in Österreich beispielsweise zu keiner Eruption der Gewalt nach den Münchner Vorfällen kam. In der Bundesrepublik hingegen wurde gleich achtundvierzig Stunden später fünf kopierte Banküberfälle registriert. Sicherlich kann auch nicht der Einwand gelten, daß die österreichischen Geldinstitute um so viel besser bewacht sind als in der Bundesrepublik, daß Verbrecher vor Überfällen aus Gründen des zu hohen Risikos zurückschrecken. Eher ist insbesondere in den ländlichen Gemeinden das Gegenteil der Fall. Die zahlreichen Überfälle auf Raiff- eisenkassen sprechen für diese Vermutung.

Etwas anderes scheint es also zu sein, daß Österreich von Verbrecherstücken des Münchner Zuschnitts bislang nicht in gleichem oder auch nur ähnlichem Ausmaß betroffen wurde. Dieses sogenannte „andere" muß Undefiniert bleiben. Es könnte — eine von vielen Möglichkeiten — in ursächlichem Zusammenhang damit stehen, daß es hierzulande am Höhepunkt einer internationalen Demonstrationswelle keine Steinwürfe gegen Verlagshäuser, keine militante Linke und keine starke Rechte, keine Belagerung von Universitäten und schließlich keine Terroraktionen subversiver Untergrundbewegungen gegeben hat und vorderhand gibt. Es soll hier gar nicht vom „besseren" österreichischen Menschen, vom österreichischen Wesen, an dem die Bundesrepublik genesen könnte, gesprochen werden, weil dies nicht nur aus Gründen einer zu oberflächlichen Beurteilung falsch und dumm wäre. Es ist bloß festzuhalten, daß jener Wind, der fortwährend Gewalt und Brutalität zeugt, in

Österreich noch nicht weht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung