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Die Auferstehung des Helden

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Oft wurde die fortschreitende Demokratisierung der Bühnenhelden beschrieben: auf die persönlich auftretenden Gottheiten folgten säkularisierte Götterbilder; diese verwandelten sich allmählich in hehre Heroen; der Heros bekam dann einen individuellen Charakter und konnte zur Figur eines bürgerlichen Alltags gezähmt werden; bald redete der Bürger, wie ihm der Schnabel gewachsen war, der Bürger nahm kleinbürgerliche und dann auch proletarische Züge an; der Weg führte weiter: in die dargestellte Misere der Krankhaften und der Kranken, und in die karge Metaphorik der Figuren bei Samuel Beckett. Es scheint, dieser Prozeß hat nuin einen Punkt der Wende erreicht. Die pompöse, verkrampfte Hascherei nach Originalität, die von manchen erfolgreichen Regisseuren des deutschen Theaters betrieben wird, ist ein Zei--chen der Ratlosigkeit. Man schlägt Lärm, um nicht grübeln zu müssen.

Es ist der kulturhistorische Augenblick, in dem der Held wieder erscheinen könnte: der Held nicht im Sinne eines hohlen Pathos, sondern als Mittelpunkt von Sehnsüchten und von Visionen, als Figur der Volksdichtung (die ein ununterbrochener Schöpfungsprozeß ist — auch heute!), als Heros der kollektiven Erinnerung und des kollektiven Träumens, als Archetypus menschlicher Existenz.

Diese Möglichkeit wird durch die Spielpläne der Theater widergespiegelt, durch manche Filme auch, durch neue Erscheinungen in der bildenden Kunst; und es sind die jungen und jüngsten unter den Künstlern, die darangehen, den absoluten Nullpunkt zu überwinden.

Gerade in diesem kulturhistorischen Augenblick tritt nun ein Schauspieler als Maler in Erscheinung. Nicht irgendein Mime, sondern ein Mann von Ebenmaß und Harmonie; ein Introvertierter, der Ergebnisse des Leidens wiedergeben will und nicht den Zustand des Leidens; ein Mensch der Form auch — nicht aus Gründen eines dekorativen Formalismus, sondern weil sich durch Form der Mensch ethisch zu korrigieren vermag. Es gab unendlich ungebildete oder in merkwürdigen Modetorheiten schwelgende Regisseure, die gerade solche Eigenschaften auf der Bühne nicht sehen wollten — vielleicht auch aus Angst, solche Helden könnten im Alltagsleben hervortreten, um Dummheit, Karrieresucht und Korruption zu entlarven. Wie dem auch sei: unser Held, Klausjürgen Wussow, hatte an seinem Theater keine ganz leichten Zeiten. Und ob ihm die neue Direktion des Burgtheaters mehr Möglichkeiten bietet? Wir wollen's hoffen.

Wussow als Maler, das ist vor allem: ein Künstler, der stark empfindet und die Emotion am dargestellten Gegenstand objektivieren, also vermitteln kann. Diese einfachen Aquarelle vermitteln das ursprüngliche Erlebnis, erwecken Nachdenklichkeit, ja, eine ganz bestimmte Zärtlichkeit, zeugen von der Stille jener ersten Begegnung zwischen dem Betrachter und seinem Gegenstand. In diesem schlichten Realismus, der das Unauffällige liebt, spüren wir Spannung, wache Bewußtheit, spüren wir spielerisches Vergnügen — und angesichts dieser und solcher Züge der Kunst sind alle sterilen Einwände der Schmocks, der Snobs und der gewerbsmäßigen Eso-teriker hochgezwirbelter ästhetischer Kategorien unerheblich.

Und wie albern erst die bereits jetzt da und dort formulierten Einwände gegen das Hervortreten eines Schauspielers als Maler gegen solche Erscheinungen des „Repräsentativen“ auf dem Gebiet der bildenden Kunst!

Wussow zeigt Bilder von kräftiger Atmosphäre und packender Intensität, bietet aber zugleich auch Einblick in das Innenleben des Helden: in seine unentwegte Beschäftigung mit der Welt, in den Prozeß der Bewußtseinsbildung und in die Mechanik der Leidenschaft, in das unentwegte, halb verbissene und halb verspielte Ringen um Ausdruck im Sinne bewältigter Form. Das gibt diesen an sich so stillen Bildern ihre Aktualität. Sie bieten uns Möglichkeit, auch den Schauspieler Wussow besser zu verstehen, nämlich nicht nur als einen Helden der Bühne, sondern auch als Typus.

Es ist der Held schlechthin, der sich über den geschickt gesteuerten Verfall und über die schwärmerische Mode der Rousseau'schen „Echtheit“ nachdenklich hinwegsetzt, sein Auge trainiert und sich selbst auf die Probe stellt, um sich durch die Ergebnisse solcher Konfrontation zu behaupten: durch die unentwegte, tief erlittene und doch spielerisch formulierte Spannung zwischen der Verzweiflung an der Welt und ihrer Verbesserung durch künstlerische Form.

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