6815240-1973_05_01.jpg
Digital In Arbeit

Die Aufwertung der Neutralen

19451960198020002020

Die Abhaltung der vorbereitenden Gespräche in der österreichischen Bundeshauptstadt stellt einen erfreulichen Vertrauensbeweis von West und Ost für Wien dar. Dennoch ist damit die Involvierung Österreichs in den Problemkreis der Truppenreduktion in Mitteleuropa, wie die Dinge liegen, jedenfalls offensichtlich.

19451960198020002020

Die Abhaltung der vorbereitenden Gespräche in der österreichischen Bundeshauptstadt stellt einen erfreulichen Vertrauensbeweis von West und Ost für Wien dar. Dennoch ist damit die Involvierung Österreichs in den Problemkreis der Truppenreduktion in Mitteleuropa, wie die Dinge liegen, jedenfalls offensichtlich.

Werbung
Werbung
Werbung

Der — fast justament vorgetragene — Vorschlag des Ostens, Wien statt Genf als Gesprächsort zu wählen, will offensichtlich zum Ausdruck bringen, daß die Sowjets deutlich zwischen der Schweizer und der österreichischen Neutralität unterscheiden, obwohl das Moskauer Memorandum 1955 sogar gewisse Gleichklänge fordert.

Über die weiteren Gründe der sowjetischen Vorliebe für Wien kann man nur rätseln: Wien und Helsinki haben sich als die beiden rotierenden Gesprächspunkte herauskristallisiert, die Schweiz will man im Osten offenbar lieber grundsätzlich ausgeschaltet wissen; zum anderen mag auch eine gewisse (symbolische?) Bedeutung darin liegen, daß Österreich mit seiner Bundesheerpolitik schon das vollzogen hat, was die MBFR-Konfe-renz erreichen soll: einen Truppenabbau. Dazu kommt, daß die Sowjets offenbar die Absicht haben, die MBFR-Gespräche als Paralleleinrichtung zur Sicherheitkohferenz zu dulden: aber als große Abrüstungskonferenz Europas. Es ist kein Zufall, daß die Zustimmung Moskaus zu den MBFR-Gesprächen just anläßlich des Pompidou-Besuches in der Sowjetunion erfolgte; soll Frankreich irgendwann doch auch in Wien dazustoßen? Und etwa auch Rumänien, das vehement an den Verhandlungstisch drängt?

Daß es der derzeitigen Kreml-Politik in ihr Vorstellungskonzept paßt, die Neutralen in Mitteleuropa aufzuwerten, braucht nicht eigens angeführt zu werden; um Ihre Zuziehung wird es jedenfalls in der ersten Gesprächsrunde in Wien gehen.

Die MBFR-Gespräche in der österreichischen Bundeshauptstadt werden — nicht ' zuletzt wegen der Gleichschaltung mit der vorbereitenden Sicherheitskonferenz — jedenfalls einige Klarstellungen der sowjetischen Absichten bringen. Ein strategisches Konzept kann derzeit nur spekulativ erkundet werden, wenngleich doch kein Zweifel daran bestehen sollte, daß die Sowjets mit ganz konkreten Zielvorstellungen und Erwartungen in die Verhandlungen eintreten.

• Im Kreml setzt man offensichtlich darauf, daß die pazifistischen Strömungen in Westeuropa und den USA zunehmen werden; die „Sozialdemokratisierung“ Europas könnte erwarten lassen, daß die Öffentlichkeit in Westeuropa den Verteidigungsfragen immer gleichgültiger gegenübersteht.

• Kann man ein kontinentales Garantie- und Sicherheitssystem errichten, verlieren Verteidigungsargumente ihre Zugkraft; wertet man parallel damit die Neutralität als wünschbares außenpolitisches System für ganz Europa auf, gewinnen alle Bewegungen, die schon heute aus der< atlantischen Allianz ausbrechen wollen, Auftrieb.

• Ist ein Sicherheitssystem in Europa denkbar, wird die Stationierung der US-Truppen jedenfalls ebenso überflüssig wie unwahrscheinlich.

Freilich sind auch die Sowjets im Falle von erheblichen Truppenreduktionen in einer gewissen Klemme. Sie wissen um die Stimmung in Polen und Ungarn, der CSSR und wahrscheinlich auch der DDR; ein freier Austausch von Personen und Ideen könnte wie ein Brecheisen das vermorschte Satellitenregime wieder aufbrechen, weshalb Sowjettruppen mit Polizeicharakter für den Kreml existenznotwendig sind.

Anderseits bedeutet Truppenreduktion in Europa für die Sowjets keinesfalls Abrüstung: denn sie brauchen vor allem Bodentruppen an der Grenze gegen China.

Aber die Abrüstungsgespräche zwischen Sowjets und Amerikanern in Wien und Helsinki (also SALT) sind bis auf weiteres der eigentliche Schlüssel zu allen weiteren Schachzügen. Haben sich Sowjets und Amerikaner über ihr nukleares Gleichgewicht geeinigt und ihre Nichteinmischungsdoktrin in den gegenseitigen Einflußbereichen bekräftigt, dann ist erst der Weg frei für alle Schritte in Europa.

Die europäischen Politiker wären daher gut beraten, das amerikanische Europa-Engagement neuerlich abzutesten und auch jene Tendenzen zwischen Boston und Los Angeles einzukalkulieren, die ein Disengagement an den europäischen Problemen anstreben. Die Erwartung, daß es die Amerikaner den Europäern schon bei den Sowjets richten werden, ist unrealistisch. Heute braucht Westeuropa die USA; oder soJltfrman das falsch prognostizieren?

Am 2. Dezember 1972 schrieb die „Furche“ zur geplanten TV-Kaset-tengesellschaft, in der sich die Republik Österreich, der deutsche Verleger Axel Springer und die Münchner Audomo-Werbegesellschaft des Herrn Josef Ferenczy zusammenschließen wollten:

„Herr Ferenczy ist einer, mit dem kein österreichischer Bundeskanzler sich an einen Tisch setzen kann. Er ist Gründer der bekannten Münchner Pornofabrik... ein Mann, der in den Nachkriegsjahren Mitglied einer Fälscherbande war... ein Mann, der zehn Monate in Untersuchungshaft saß ... ein Mann, der kurz vor seinem Prozeß ins Ausland flüchtete ... so ein Mann ist keines Handschlages eines österreichischen Bundeskanzlers würdig.“

Nunmehr ist eine ganz neue Situation eingetreten, weshalb wir die letzte Ausgabe der angesehensten Schweizer Wochenzeitung, der „Weltwoche“, unseren Lesern nicht vorenthalten wollen. Die „Weltwoche“ schreibt:

„Hatte Bruno Kreisky vorher tatsächlich keine Ahnung vom Inhalt der Akte Ferenczy gehabt? Das vermag sich niemand vorzustellen. Dennoch scheint ihn die „Furche“ beeindruckt zu haben. Das Unternehmen Kreisky-Springer-Ferenczy wurde österreichischerseits abgeblasen. „In Sachen Kassettenfernsehen wird es kein Geschäft zwischen der Bundesregierung und dem deutschen Zeitungsverleger Axel Springer geben“, erklärte SPÖ-Zentralsekretär Marsch dezidiert.

Gute Kenner des österreichischen Bundeskanzlers meinen sogar: in spätestens einem Monat wird sich der vielbeschäftigte Kreisky kaum mehr daran erinnern können, daß er zwei Jahre lang mit dem Springer-Generalbevollmächtigten Eberhard von Brauchitsch verhandelt und Herrn Ferenzcy am 27. Oktober 1972 bei einem Mittagessen im Hotel Imperial sein ,o. k.' gegeben hat.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung