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Die gescheiterte Vernunft

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Die Menschen haben sich seit Jahrtausenden kaum wesentlich geändert. Dies drängt sich in unserem Jahrhundert mit den täglichen Morden, Uberfällen, Entführungen, Folterungen, Bombenwürfen, mit den Kriegen, den Verwüstungen ganzer Länder besonders auf. Können sich die Menschen nicht ändern? Liegt es in ihrer Konstitution, in einer Grundeinrichtung des Daseins? Leibniz erklärte, die bestehende Welt sei als Werk Gottes die beste aller möglichen Welten. Um diese Auffassung lächerlich zu machen, schrieb Voltaire den berühmten Roman „Candide“, dessen Dramatisierung eben jetzt im Burgtheater zur deutschsprachigen Erstaufführung gelangte.

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Die Menschen haben sich seit Jahrtausenden kaum wesentlich geändert. Dies drängt sich in unserem Jahrhundert mit den täglichen Morden, Uberfällen, Entführungen, Folterungen, Bombenwürfen, mit den Kriegen, den Verwüstungen ganzer Länder besonders auf. Können sich die Menschen nicht ändern? Liegt es in ihrer Konstitution, in einer Grundeinrichtung des Daseins? Leibniz erklärte, die bestehende Welt sei als Werk Gottes die beste aller möglichen Welten. Um diese Auffassung lächerlich zu machen, schrieb Voltaire den berühmten Roman „Candide“, dessen Dramatisierung eben jetzt im Burgtheater zur deutschsprachigen Erstaufführung gelangte.

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Der Roman, didaktisch gehalten etwas klapprig wirkend, bietet ein Abenteuergeschichte, in der, möcht man sagen, in zwei Zeilen mehr geschieht als in fünf heutigen Theater stücken. Der Westfale Candide küß Kunigunde, die Tochter eines Barons wird deshalb verjagt, er erfährt, dal ihre Eltern ermordet wurden, si( selbst vergewaltigt und verschwunder ist, er sucht sie in der ganzen Welt trifft sie, verliert sie wieder und findet sie schließlich als nunmehr häßliche, triefäugige Alte in Konstantinopel. Was Candide zwischen Brasilien, Paraguay und dem Nahen Oster selbst erlebt oder von Leuten, dener er begegnet, hört, ist eine Häufung von Greueln, die erstaunlich an di( heutige Zeit gemahnen.

Damit wird die These von dei besten aller Welten, die hier dei deutsche Metaphysiker Panglos: trotz schwerster erlittener UnbiL lehrt und aufrechterhält, ad absurdum geführt. Ist dies nun ein Angrifl gegen den Weltenherrscher und seine Ordnung? Der Deist Voltaire, der erklärte, die ganze Natur rufe uns zu daß Gott existiere, zeigt das Grauenvolle, das sich begibt, in aller Kraßheit auf, aber es wird ohne Hiobs Anklagen hingenommen. Die Welt zi verändern, kommt Candide nicht in den Sinn, wohl deshalb, weil das Gesetz des jeweils Stärkeren nicht zu brechen ist. So versucht er schließlich, das Leben durch Arbeit erträglich zu machen.

Geht uns „Candide* noch etwas an? Der Hohn auf Leibnitz hat heute kaum Bedeutung. Und Voltaires enthusiastischer Glaube an die Vernunft, der sich in einer eingeschobenen Szene kundgibt? Die Grausamkeit der Menschen hat sich in unserem Jahrhundert, in dem die Ratic gigantische Erfolge errang, nur noch gesteigert. Der von der „Aufklärung' initiierte Rationalismus, die Wissenschaftsgläubigkeit, der Fortschrittsglaube haben kläglich versagt.

Die Dramatisierung durch der 39jährigen Regisseur Roberto Guic-ciardini, einem italienischen Grafen und seiner Theatergruppe „della Rocca“ folgt den Romangeschehnissen, interpoliert aber Szenen, in denen Philosophen der Aufklärungszeit ihre Thesen verkünden, es sind Texte von Voltaire selbst, von Rousseau, von Diderot, von anderen. Das steigert nur noch das theaterwidrige Dialektische der Szenenfolge. Die Anteilnahme erlahmt auch sonst durch ständige Variation ähnlicher Geschehnisse, wo immer sie sich begeben. Guicciardini ironisiert die Vorgänge mit pantomimischen Mitteln, wendet manches ins Komisch-Groteske. Eine perfekte Aufführung.

Zehn Darsteller haben 61 Gestalten zu verkörpern, nur Joachim Bissmeier spielt allein den Candide, eine Rolle, die Gewandtheit, aber keine psychologische Vertiefung verlangt. Achim Benning als Pangloss, Sonja Sutter als Kunigunde sowie Helmut Janatsch, Wolfgang Gasser, Fritz Grieb geben stärker hervortretende Figuren, auch sie hahen weitere Gestalten darzustellen. Der Bühnenbildner Lorenzo Ghiglia ornamentiert diskret Kulissen und Hintergrundprospekt. Wird vom Triumph der Vernunft gesprochen, zeigt diese Wand sinnbildlich ein Gefüge von Rädern. Ansonsten gibt es nur Hocker und Podeste. Die reichen, überaus phantasievollen Kostüme entwarf ebenfalls der Bühnenbildner. Von Piero Rismondo stammt die treffliche Übersetzung.

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