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Die Landpartie

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Der bedeutende Erzähler legt zum ersten Mal einen figurenreichen Roman vor: ein Panorama der Gegenwart, dem wir das hier abgedruckte Kapitel entnehmen." ,,Die Milchstraße" (Residenz-Verlag, Salzburg) erscheint in die-sen Tagen.

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Der bedeutende Erzähler legt zum ersten Mal einen figurenreichen Roman vor: ein Panorama der Gegenwart, dem wir das hier abgedruckte Kapitel entnehmen." ,,Die Milchstraße" (Residenz-Verlag, Salzburg) erscheint in die-sen Tagen.

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Sie saßen alle im grünen Gras: Magret, Leon, die beiden Kinder, Anna und Gregor, und Perry, ein Freund der Familie. Sie saßen an der Schulter eines Tales, das wie ein großer Trog war. Bäume standen da, als Walzen oder Kugeln, groß und luftig und braun und geschmeidig in der hellen, knirschenden Luft. Der Tag war windlos, die Bläue flach oder abertief, wie man es ansah, zum Ertrinken. Hoch an den Luftstangen, an den Nadeln der Bläue waren Vögel befestigt, so hoch, wie Gesang und Freizügigkeit nur gehen können in einer Uf erlosigkeit von Leere. Uberm Talgrund lag Nebel, wolliger, frischer Dunst aus Auen und Wiesen, wo sich ein

Fluß zwischen Sandbänken hinwand.

Es war eine große Landschaft in der Welt, die sich den Tag hinabbog. Wolken schwammen in dem köstlichen, harschen Blau. Kastanien sprangen von den Zweigen der Bäume, die schwer und rührend erschienen in ihrer Ausdauer. Ihr Laub knackte. Schon zeigten sich braune Ränder daran. Hip und hop sprangen zwei Gänger über ein ferneres Gatter. Die Katze am Feld trug eine Maus im Maul. Gelb und staubig war das Feld.

Den Kerl kenn’ ich, sagte Perry. Er hockte auf den Fersen, im leichten Sommeranzug, dünne Strickkrawatte um, und murmelte und nuschelte zwischen den Sätzen, die er laut aussprach, wie es seine Art war. Den kenn’ ich! Er fuhr mit der Hand in die Höhe; das sollte einen Kirchturm vorstellen.

An der kleinen, alten Kirche hocken sie tagtäglich, sagte er, die ganze Gesellschaft! Nichts wie Saufen im Sinn! Bei der Hitze hängen sie die Arme übern Brunnenrand, dort stehen die Flaschen unterm Fontänenstrahl und klingeln. Ah! Bier und Bier! Die alten Hexen tragen Flachmänner am Strumpfband. Gepißt wird im Park. Die ganze Wirtschaft stinkt!

Perry schnaufte. Er schraubte den Becher von der Thermosflasche, goß sich Tee ein und trank.

Der Kerl kommt immer mal ins Geschäft, kommt gleich her zu mir und sagt: Herr Perry, mein Buch wird bald fertig sein! Tatsächlich! Sie glauben’s nicht? Wissen Sie noch den Titel von meinem Buch, he? So redet der Kerl! Trinken ohne Zukunft! Das ist es, schreit er und springt aus dem Geschäft wieder hinaus, zu seiner

Mannschaft, die sich’s wohl sein läßt am Brunnen, an der alten Kirche, diese Penner!!

Perry lehnte sich zurück zwischen den hohen, knarrenden Halmen und machte ein trauriges Gesicht. Das gehörte dazu. Magret lachte und stieß Leon an, der dann auch lachte. Die Kinder liefen über den Hang, gingen eine Strecke fort an die Bäume, wo sie Kastanien einsammelten.

So saßen sie da. Perry halb schlafend, ein sattes, hageres Eichhörnchen, Magret an den dösenden Leon gelehnt, den sie manchmal streichelte oder zwickte oder küßte, um ihn zu necken oder zu liebkosen; oder um ihn bloß darauf aufmerksam zu machen, daß er nicht alleine da war in der trockenen Spätsommerwiese, in der die Mäuse raschelten.

Sie kannten Perry schon lange. Er war der Besitzer einer kleinen Buchhandlung’gleich um die Ek-ke. Er war Junggeselle, bewunderte Magret und brachte den Kindern öfter Buchgeschenke mit. Onkel Perry sagten die zu ihm und nahmen ihn nicht recht ernst. Das tat eigentlich niemand. Perry wußte das. In all der Mißachtung hatte er sich behaglich eingerichtet. Ich bin ein Mann mit philosophischen Grundsätzen, bemerkte er manchmal und blickte sein Gegenüber milde, fast schläfrig an.

Sie saßen in dem großen, ausströmenden Sommer, hingen ihren Gedanken nach. Weit über allem spannte sich der blaue Schirm, an dem Flecken von tie-

ferer Bläue waren, wie Löcher. Als wenn ein großer Finger dort antappte, sagte Leon, doch die anderen gingen nicht darauf ein. Die Kinder waren zu einem Mann hingelaufen, der auf dem Feld einen Drachen steigen ließ. Erst wollte der Drachen nicht recht zur Höhe, und die Kinder kicherten, wenn er herunterkurvte und sich in den Boden bohrte. Dann nahm der Mann etwas von dem Gras, das er an den Schwanz des Drachens gebunden hatte, weg, und jetzt stieg der Drachen hinauf und immer höher über die Talweite hin, aus der ein warmer, gleichmäßiger Luftstrom auffuhr.

Als ich klein war, machte mir Papa einmal einen großen, roten Drachen, sagte Magret, er ließ ihn steigen und ich klatschte in die Hände.

Ja, das paßt zu dir, sagte Leon. Er streichelte sie an der Wange, sah sie spöttisch und doch bewundernd an.

Wie war’s mit Ihnen, Perry, sagte er, hatten Sie einen Drachen, als Sie klein waren?

Hm, sagte Perry und strich sich das Haar aus der Stirn, ich hatte keinen, das heißt, doch: Ich hatte einen, den ich selber entworfen und konstruiert hatte, aber er flog nicht.

Ich kann’s mir vorstellen, sagte Magret und lachte. Sie knöpfelte ihre Bluse zu, die sie so weit geöffnet hatte, daß man den schönen Ansatz ihrer Brust hatte sehen können.

Ist dir kalt, fragte Leon.

Magret zeigte ihm die Zungenspitze; die Kinder, die hergelau-

fen waren, sahen es und zeigten mit den Fingern eifrig auf Leon.

Was meinen Sie, Perry, sagte der, wollen wir was trinken gehen?

Wenn Sie meinen, Leon!

Perry hatte seine Uhr hervorgeholt, eine altmodische Taschenuhr, klappte den Deckel auf und sah nach der Zeit: Alle schauten ihm dabei zu, wie er gewissenhaft die Stunde ablas. Ein großer Friede war über sie gekommen.

Vier Uhr, sagte Perry, vier Uhr fünfzehn: Wenn Sie meinen, Leon!

, Perry wußte, daß Leon gerne trank und daß Magret das nicht mochte. Aber er hatte Leon zu gerne, als daß er ihn in solchen Situationen nicht unterstützt hätte. Auch schwatzte er gern bei einer Flasche Wein, was er so formulierte: Eine gute Flasche Wein ist mir lieber als jede Frau!

Am Himmel oben lösten sich die kleineren Wolken auf in ein luftiges Grau, das mit feinen Spinnenfingern alles anzurühren begann. Nur in der Mitte, gradewegs über der kleinen Gesellschaft, war noch das alte, tiefe, köstliche Blau, aus dem heraus sich eine mächtige, weiße Sommerwolke mit Türmen und Kuppeln bauschte und stieg. Rund und weit, in Tiefe und Höhe gestreckt, wuchs der Bau der Wolke, mit Erkern, Toren und aus und ein fliegenden Vögeln, die Burg des vergangenen Tages, weich von der Sonne bestrahlt.

Es ist eine Grießnocke, die in der Suppe schwimmt, sagte Leon.

Nein, es ist der Walfisch, sagte Gregor, und seine Schwester nickte.

Ihr habt recht, sagte Perry zu den Kindern, es kommt auf euch an, was alles bedeutet; die Namen gebt ihr. Auf dem Weg spielten sie dann ein Spiel, das darin bestand, daß einer den anderen spielte.

Sie gingen an der Talschulter entlang, wo sich, von Baumgruppen flankiert, der Blick manchmal über Wiesenabhänge hin zur Niederung auftat. Der Fluß war jetzt grün, wie festgezurrt die Oberfläche seines Wassers, das zu stehen schien. Dunstfahnen hingen an den Wipfeln der Bäume, oder sie entrollten sich langsam daraus. Ein Pferd lief in einer Koppel, und sie gingen hin, es zu füttern. In dem Picknickkorb war noch etwas Brot, das sie dem Pferd hinhielten. Als Gregor sah, wie das Pferd aus Leons Hand fraß, wollte er es auch probieren, doch dann, vom Vater emporgehalten, getraute er sich nicht. Das Pferd warf seine Mähne und lief davon.

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