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Die letzten Jahre

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Knapp vor Weihnachten ist jetzt der dritte Band der vom Verlag für Jugend und Volk in Wien edierten biographischen Chronik „Tausend Jahre Österreich“ herausgekommen. Er umfaßt auf rund 500 Seiten 72 Beiträge, unter denen sich so ziemlich alle berühmten Namen finden, die Österreich für die Darstellung der in diesem Band enthaltenen Epoche zu bieten hat. Diese Epoche, die dargestellt wird, ist die Endphase der Monarchie und ist die Geschichte der beiden Republiken. Endlich wird hier in diesem Buch nachgewiesen, daß die Geschichte der Ersten und Zweiten Republik nur im Zusammenhang mit den letzten Jahrzehnten . des Habsburgerstaates gesehen werden kann. So sehr der Erste Weltkrieg eine Zäsur darstellte, so wenig änderten sich die handelnden Personen: denn fast alle Persönlichkeiten, die in den letzten Jahren der Monarchie eine Rolle spielten, spielten diese auch noch in der Ersten und Zweiten Republik. Dies gilt ja übrigens nicht nur für Österreich allein, sondern auch für viele seiner Nachfolgestaaten: denn im letzten frei gewählten österrei chischen Reichsrat saßen als Abgeordnete der Gründer der tschechoslowakischen Republik, Thomas Gar- rigue Masaryk, der Ministerpräsident Italiens nach dem Zweiten Weltkrieg, Alcide de Gasperi, einer der ersten jugoslawischen Minister, der Slowene Korošec und natürlich Dr. Karl Renner, und mit ihm viele andere, ohne die die Geschichte der Ersten und Zweiten Republik undenkbar ist.

Auch die meisten Verwaltungsgesetze der Ersten und Zweiten Republik fußen noch auf den Grundlagen, die die Monarchie schuf. Diese gehen ja vielfach wieder auf die Zeit der absoluten Herrschaft Kaiser Franz Josephs zu Beginn der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts zurück.

So. haben es denn die verschiedenen Autoren, die aus den diversen Reichshälften des heutigen Österreich kommen, nicht schwer, diese Linien immer wieder aufzuzeigen. Der besondere Wert dieses Werkes aber liegt darin, daß es der Darstellung der Kultur, Kunst und Wissenschaft dieser Epochen einen breiten; glücklicherweise sehr breiten Raüm eihränmt. Die letzten Jahre der Monarchie waren erfüllt mit einem neuen kulturellen und künstlerischen sowie wissenschaftlichen Glanz Österreichs. Überall sprach man von der Wie ner medizinischen, nationalökonomischen, historischen Schule. Der Wiener Jugendstil eroberte nicht nur die Länder der Monarchie, sondern griff weit darüber hinaus. Architekten wie Loos, Hoffmann und Wagner erzielten Weltruf. Auf den Gebieten der Naturwissenschaften kletterte Österreichs Bedeutung immer höher. Die Dichter der Monarchie von Rilke bis Hofmannsthal und Musil, nicht minder die bildenden Künstler waren in aller Munde. Wäre der Weltkrieg nicht gekommen, dann hätte der Donaustaat eine Explosion auf den künstlerischen und wissenschaftlichen Gebieten erlebt. Aber trotz Weltkrieg waren die „Vorräte“, die in den Jahren vor dem Krieg gesammelt worden waren, so groß, daß die Erste und Zweite Republik gut von diesem Vorrat leben konnten, und vor allem auch weiterzubauen- vermochten. So wird dieser Band, sicherlich ungewollt, aber durch die Erforschung der historischen Wahrheiten doch zu einem großen Lobgesang auf die alte Zeit, die sicherlich nicht immer gut war, die aber doch auch nicht immer so verdammenswert gewesen ist, wie dies manchmal geglaubt wurde.

Die Werke, die sich mit den letzten Jahrzehnten der Monarchie beschäftigen, ballen sich jetzt geradezu: Im Molden-Verlag erschien von Andics das Werk „Das österreichische Jahrhundert“, im Bertelsmann-Verlag das große Buch über die k. u. k. Armee von Allmeyer-Beck und Lessing, im Schroll-Verlag ein wunderschönes Buch über die Orden und Ehrenzeichen des Donaureiches, im Uberreuter-Verlag das Buch „Der Fenstergucker“ usw. Nur Nostalgie? Wohl kaum. Eher wohl ein Durchbruch zur Erkenntnis, daß der Österreicher auf vielen Gebieten seiner Geschichte, und hier vor allem auch auf den Gebieten der kulturellen, künstlerischen und wissenschaftlichen Geschichte, eine große Vergangenheit hat, die ihm die Chance gibt, trotz Kleinstaat, auf den ererbten Grundlagen weiterzubauen für eine neue, große Zukunft.

TAUSEND JAHRE ÖSTERREICH. Eine biographische Chronik. Band 3:

Der Parlamentarismus und die beiden Republiken. Herausgegeben von Walter Pollak. Verlag für Jugend und Volk, Wien, München. Leinen. 527 Seiten. 87 Abbildungen, davon 8 farbige. 575 Schilling.

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