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Die Pressefreiheit ist zwischen Mühlsteine geraten

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Die Geschichte der schwedischen Arbeiterpresse ist reich an trübe stimmenden Kapiteln. Das Zentralorgan der Sozialdemokratie, „Morgon-tidningen“, früher „Socialdemokra-ten“ genannt, wurde schon in den fünfziger Jahren eingestellt. Ihm in die Versenkung folgte die Abendzeitung „Aftontidningen“. Die vom Hause Kreuger übernommene „Stock-holms-Tidningen“ war das nächste Flaggschiff der Partei. Auf Grund seiner allzu offenen Sprache und seiner kritischen Haltung zur amerikanischen Militärpolitik - nicht ohne die Mitwirkung hoher Parteifunktionäre-wurde diesem Blatt von der obersten Gewerkschaftsspitze selbst das Lebenslicht ausgehaucht. Das Parteiblatt in Göteborg, der zweitgrößten Stadt des Landes, erlitt dasselbe Schicksal, obwohl sein letzter Chefredakteur keineswegs dem linken Flügel der Partei zugerechnet werden konnte. An überregionalen Zeitungen besitzt die Sozialdemokratie jetzt nur noch die gewerkschaftliche Nachmittagszeitung „Aftonbladet“, deren Leitung zwischen dem Hang zur Sensationsjournalistik und dem Zwang zur Oppositionspolitik hin und her schwankt.

Zu den ausgesprochen unglücklichen Resultaten eines solchen zwiespältigen Bemühens muß man jene fingierten Interviews mit bekannten Personen des öffentlichen Lebens rechnen, die seit einiger Zeit in der Sonntagszeitung des Blattes erscheinen. Ein solches „Interview“ veran-laßte Staatsminister Fälldin, die Leitung des „Aftonbladets“ wegen beleidigender Äußerungen und „Mißbrauch der Pressefreiheit“ vor den Richter zu zitieren. Es ist das erste Mal, daß ein Regierungschef in Schweden gegen ein oppositionelles Blatt einen derartigen Schritt unternimmt. Fälldin legte allerdings Wert darauf zu betonen, daß er das Blatt nicht wirtschaftlich ruinieren wolle, sondern -im Falle einer Verurteilung- nur einen Schadenersatz in der Höhe einer Krone verlangen werde.

Schon die nächstfolgende Sonntagsbeilage erfuhr eine noch unsanftere Behandlung. In ihr wollte der Verfasser der fingierten Interviews die Machthaberallüren des Chefs der Transportarbeiter-Gewerkschaft anprangern, ein Thema, das sich einem Mann mit einer spitzen Feder geradezu aufdrängt, wenn man an die Eskapaden des Gewerkschaftsbosses Hans Ericson denkt. Was man sich auch an unsympathischen Eigenschaften eines rüpksichtslosen Bonzen vorzustellen vermag, Hans Ericson gelingt es, sie alle in seiner Person zu vereinigen. Es gibt wohl keinen Satiriker, den eine solche Figur nicht reizen würde.

Der Journalist jedoch, der - unterstützt von einem zeichnenden Kollegen - das am 5. Februar in der Sonntagsbeilage des „Aftonbladet“ hatte tun wollen, vergaß, daß Boß Ericson auch bei den Herausgebern des Blattes noch seine Freunde und Proselyten hatte. Dazu kommt, daß man in Schweden für Ironie und Satire noch nie viel übrig gehabt hat.

Der verantwortliche Herausgeber verfügte die Vernichtung der gesamten bereits gedruckten Sonntagsausgabe und der Beilage „Magazin“, um Hans Ericson nicht auf die Hühneraugen zu treten und auch Thorbjörn Fälldin nachträglich noch eine Genugtuung zu verschaffen. Die Herstellung der also vernichteten 500.000 Exemplare hatte zwischen 300.000 und 400.000 Kronen gekostet und der Verkaufswert eine Million Kronen betragen, die indirekt von den einfachen Gewerkschaftsmitgliedern wieder aufgebracht werden müssen.

Der Chefredakteur des „Magazins“ trat als Protest von seinem Posten zurück. Den beiden, bereits gekündigten, Verfassern des „Interviews“ wird die Zeitung einen Schadenersatz von 28.000 Kronen bezahlen müssen. Der Vorsitzende des Journalistenklubs bezeichnete das Vorgehen der Leitung als äußerst ungeschickt und unglücklich, und in der gesamten Redaktion des „Aftonbladets“ herrscht eine dumpfe Untergangsstimmung: Wer wird es künftig noch wagen, Personen in Machtpositionen respektlos zu kritisieren?

Zu den nächsten „Interview-Opfern“ sollte der allmächtige Generaldirektor der schwedischen Staatsbahnen, Lars Peterson, gehören und der eben im Mittelpunkt eines Riesenskandals stehende Boß des Mietervereines, der mit sieben seiner Mitarbeiter nach Singapur geflogen war, um dort Vorstandsberatungen abzuhalten. Auf Kosten der geplagten Mieter, versteht sich.

Nachdem man sich von der ersten Überraschung erholt hat, stellen nun zahlreiche Zeitungen die Frage, wie sehr ein Zeitungsherausgeber bei der Auswahl des Materials die Schwächen und Empfindlichkeiten der Machthaber berücksichtigen darf. - „Um den Schein, der unsere öffentlichen Personen umgibt, zu wahren, sind wir so schauderhaft ernst geworden“, schrieb die Zeitung „Göteborgs-Posten“. „Satiren werden nicht mehr geduldet, aber sterben sie aus, dann ist es wirklich schlecht bestellt um dieses Land, dann kann der Selbstherrliche in der Politik sich hemmungslos gehen lassen...“

„Göteborgs-Posten“ weiter:

„Kommt es - im Prozeß Fälldin gegen „Aftonbladet“ - zu einer Verurteilung des Blattes, dann sind die Folgen für dieses Land weit ernster als der etwaige Fehltritt in der Satire. Der Artikel ist ein Spiel mit Worten und verweist auf das Kranke, das es in der Politik gibt. Die Satire ist ungewöhnlich in der schwedischen Presse, Journalisten haben selten Zeit für solche Arbeiten: Fälldin ist nicht unentbehrlich, aber die Satire brauchen wir...

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