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Die Reservisten

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Die Statistik spricht eine klare Sprache: von rund sieben Millionen getaufter Österreicher füllen sonntags und feiertags nur runde 10 bis 15 Prozent die Kirchen und erfüllen somit den testamentarischen Willen ihres Herrn: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!” Nicht anders, wie in den meisten katholischen Ländern des Westens, fährt das Kirchenschiff auch in Österreich bereits seit langem auf Reserve.

Der Tank scheint leck zu sein, verliert an Kraftstoff, Kirchenaustritte sind keine Seltenheit. Doch: Das Schiff fährt. Dank der allzeit Getreuen, eben jener 10 bis 15 Prozent von Katholiken. Während sich ihre getauften Brüder und Schwestern im permanenten Ausstand befinden, für den Glockenklang taub geworden sind und den Sonn- oder Feiertag lieber für einen ausgiebigen Schlaf oder für den Pfusch am Wochenendhaus benützen, sorgen sie mit erstaunlicher Standhaftigkeit dafür, daß die Kirchenbänke nicht leer bleiben und das Schiff nicht untergeht; ja, daß es sogar zu neuen Ufern aufbrechen kann. Sie werden oft mißverstanden, verlacht und geringgeschätzt: die Männer und Frauen im Bauch des Schiffes, an den Turbinen und Heizkesseln, sie geben kaum Schlagzeilen für die Presse ab.

Schon eher jene Müßiggänger Deck, die sich in der Sonne zweifelhafter Publizität räkeln und über den kindlichen Glauben dieser Schwerarbeiter der Kirche intellektuelle Possen reißen.

Denn die wenigen Getreuen, deren christliches Lebensgefühl mit dem Liedtext aus der ehemals „Betenden Gemeinde” am besten gekennzeichnet werden kann: „O Gott, wir kommen voll Vertrau’n, mit kindlichem Gemü- te” - sorgen nicht nur dafür, daß die Denkmäler barocker Frömmigkeit, an denen dieses Land so reich ist-Dome, Wallfahrtskirchen, Kapellen und Marterln - nicht zu Objekten rein ästhetischen Ergötzens degradiert und damit zweckentfremdet werden, sondern auch weiterhin Stätten der Andacht und der Einkehr bleiben können; sie sind es auch, die mit ihrer Opferbereitschaft für die Existenz der katholi-auf sehen Publizistik sorgen, kirchliche Institutionen und Werke mit Spenden am Leben erhalten; die, ganz gleich, ob es um eine „Aktion Leben” oder um andere Aktionen der Kirche auf gesamtösterreichischer oder Pfarrebene geht, voll da sind, jederzeit einsatz- und hilfsbereit.

Sie sind es auch, die im wenig geschätzten fortschrittlichen Sinne dafür sorgen, daß die Nöte der Konsumgesellschaft und ihrer Randsiedler maßgeblich gelindert werden können.

Denn ihre von Arbeit gezeichneten Hände, die zum Wirtschaftswachstum mehr beigetragen haben als viele ihrer Kritiker, pflegen nicht nur mit Gesangsbuch und verlachtem Rosenkranz vertrauten Umgang, sondern auch mit dem Verschluß des Geldbeutels: der ist - wie ihre Herzen - stets offen. Sie sind die schlichtermaßen einzigen im Lande, auf die das viel strapazierte Wort „sozial” ohne jedweden politischen Beiklang, im ursprünglichen Sinne „gesellschaftsverbunden, mitfühlend” (Brockhaus) paßt. Denn ganz gleich, ob es die Leprakranken auf einer einsamen Insel oder die gehimge- schädigten Kinder im Lande sind; ob es um Erdbebenopfer in Friaul oder um Flüchtlinge geht; ob Spitäler, Waisenhäuser, Rehabilitationszentren erhalten oder Entwicklungshilfe geleistet werden soll: Sonntag für Sonntag lassen die „Sozialisten der Kirchenbänke” ihre ansehnlichen Spenden in die Opferstöcke flattern, während die Fernbleibenden - mit wenigen Ausnahmen - sich Kritik und Geld Vorbehalten. Vom Kirchenbeitrag und vom „Klingelbeutel”, dem Opfer am Altar beizufügen, erst gar nicht zu sprechen.

Freilich: eben jener Zug, der ihren kindlichen Glauben bestimmt, unreflektierter, allzusehr individualistisch auf das eigene Seelenheil trachtender Glaube, birgt auch Gefahren in sich: Gefahren der Kompensation durch Geld, Kirchgang und Gebet. Der Aufruf des Konzils zum Erwächsenen-Da- sein, zur Mündigkeit und zu aktivem Mitgestalten wird von ihnen oft als Verlust des Bisherigen, einzig Authentischen erlebt: als Verlust und Zersetzung des Glaubens, an dem sie sich mehr klammern, als sie ihn bekennend in die Welt tragen.

Nicht alle von ihnen haben es noch begriffen, was die neue - nebenbei in Klosterneuburg schon längst vor dem Konzil praktizierte - Liturgie bedeuten soll, und eher aus Gehorsam als Überzeugung haben sie die Umdrehung der Altäre hingenommen. Die Zahl der Kryptolefebvres ist größer, als man gemeinhin glaubt. Allerdings mit einem wesentlichen Unterschied zum verstiegenen Erzbischof und seiner Anhängerschaft: sie sehen - selbst wenn sie nicht einen jeden seiner Schritte gutheißen - im römischen Papst weder den Teufel noch seinen Spießgesellen, sondern jenen Petrus, der ihre Einstellung vorweggenommen hat, als er zu Jesus sagte: „Zu wem sollen wir gehen? Die Worte des ewigen Lebens sind bei Dir.”

Gerade in diesem Punkt und gerade in der heutigen Ära des Umbruchs, da so vieles ins Wanken geriet, erweist sich ihre Größe, bei aller unnötigen Ängstlichkeit, in der Treue zu Rom, zur Kirche.

Kein Zweifel: Die Haltung der Getreuen ist mehrheitlich von einem eher leicht verunsicherbaren, vorpfingstli- chen Glauben geprägt. Vieles ist eher tradiert als durchdacht, und deshalb kaum tragfähig: ein fruchtbarer Boden für Zweifel und Abfall. Doch auch - und das wird heute vielfach übersehen - für Erneuerung und Aufbruch.

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