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Digital In Arbeit

Die Sorgen der Macher

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Computerunterstützte Zeitungsproduktion zwingt Journalisten zu Mehrarbeit und zur ÜbernahmeberufsfremderTätigkei-ten; zahlreiche graphische Facharbeiter verlieren ihren Arbeitsplatz.

Die Mehrzahl der mit neuer Technologie in Tages- und Wochenzeitungen Konfrontierten steht dieser Innovation überwiegend positiv gegenüber und blickt auch voll Optimismus in die Zukunft.

Beide Aussagen stehen im Widerspruch zueinander und dennoch stimmen beide. Sie basieren auf einem in den letzten zwei Jahren mit Unterstützung des Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank und des Graphischen Bil-

dungsverbandes durchgeführten Forschungsprojekt: „Informatisie-rung am Beispiel Print“ wollte der Frage nachgehen, was passiert, wenn sogenannte „Integrierte Texterfassungssysteme“ in den Zeitungshäusern Einzug halten. Erstmals wurde bei einer solchen Technikfolgeabschätzung eine Stichprobe aller an der Tages- und Wochenzeitungsherstellung Beteiligten untersucht: Journalisten, graphische Facharbeiter, Verlagsangestellte, Manager.

Diese Vorgangsweise erlaubt es auch, konkrete Aussagen zu einer der wesentlichsten Auswirkungen der Informationstechnologie im allgemeinen zu machen: der „Grenzverwischung“.

Was damit gemeint ist, kann an unserem Beispiel gut veranschaulicht werden: Waren in der „konventionellen Produktionsweise“ seit

Bestehen des modernen Pressewesens die Aufgaben der Beschäftigtengruppen säuberlich geschieden -Journalisten kümmern sich um die Inhalte, Verlagsangestellte und andere um Akquisition und Fakturierung von Inseraten und graphische Facharbeiter um die ordnungsgemäße satztechnische Aufbereitung - so werden diese Tätigkeitsbereiche nun im wahrsten Sinne „integriert“:

Vor allem Journalisten übernehmen mit „Integrierten Texterfassungssystemen“ (ITS) zunehmend berufsfremde Tätigkeiten wie zum Beispiel Druckfehlerkorrektur, aber eben auch das Setzen von Artikeln. Da ein Journalist per definitionem für den Tag arbeitet und daher nichts auf „später“ aufschieben kann, wird seine Arbeitszeit von einem ohnehin schon exorbitant hohen Durchschnittswert auf einen noch höheren verlängert: von 10,3 auf 10,9 Stunden! Dazu kommt, daß der Zeitanteil für eine journalistische Kerntätigkeit, das Verfassen von

Artikeln, durchschnittlich leicht zurückgeht und sich überdies - wie eine Stichprobenanalyse einer renommierten österreichischen Tageszeitung ergab, welche die gesamte Korrekturabteilung bei ITS-Einfüh-rung eingespart hat - auch die Lesbarkeit des Produktes verschlechtert: Die Zahl der Druckfehler stieg zwischen 1985 und 1988 (nachStill-legung des Korrektorates) auf das mehr als Sechsfache pro durchschnittlicher Ausgabe!

Aber auch in Richtung der anderen Berufsgruppen beginnen sich die Grenzen zu verwischen: Im „integrierten Zeitungsbetrieb“ zeigen sich Ansätze, daß graphische Facharbeiter und Verlagsangestellte journalistische Aufgaben wie Redigieren und Recherchieren zu übernehmen beginnen.

Weshalb ist dann die Einschätzung der neuen Zeitungstechnik durch die Betroffenen positiv?

Das hat mehrere Ursachen. Zum einen erlaubt die neue Technik eine schnellere Blattgestaltung, Ände-

rungen und Aktualisierungen in letzter Minute und bei moderneren Systemen sogar die Darstellung einer kompletten Zeitungsseite am Bildschirm, was Spielraum für kreative Gestaltung schafft.

Weiters ist den meisten wohl bewußt, daß etliche negative Technikfolgen ihren Grund nicht im Computereinsatz, sondern in der unabhängig davon existierenden Arbeitsorganisation haben: Das durch Bezahlung wohl kaum abzugeltende durchschnittliche Arbeitsausmaß von Journalisten beispielsweise hat seine wesentliche Ursache in der notorischen personellen Unterbesetzung der Zeitungsredaktionen. (Die Journalistenanzahl müßte in nahezu allen Fällen mindestens verdoppelt werden, um westeuropäischem Standard zu entsprechen.) Auch die 1981 und 1989 von den Mediensozialpartnern abgeschlossenen „ITS-Kollektiv-verträge“ haben die Effekte der Arbeitsplatzverringerung vor allem der graphischen Facharbeiter durch

verlängerte Kündigungsfristen und (zusätzliche Abfertigungen gemildert.

Noch haben außerdem „Integrierte Textverarbeitungssysteme“ in Österreich eine kurze Tradition und sind überdies erst auf geringerer Ausbaustufe verwirklicht. (Die technisch mittelfristig realisierbare totalintegrierte Zeitung soll neben inhaltlich-technischer Herstellung, Anzeigen und Vertriebsverwaltung auch die Produktionsplanung von der Redaktion aus computergestützt möglich machen.) Radikale Veränderungen haben sich, jedenfalls für jeneMehrzahl der Zeitungsbeschäftigten, deren Arbeitsplatz erhalten blieb, bislang noch nicht spürbar gemacht.

Dennoch wird sich die Arbeitssituation der „Zeitungsmacher“ verändern. Vor allem die Aura des exklusiven journalistischen Kreativitätsberufes dürfte bei zunehmender Verschmelzung mit graphisch-technischen und verwaltungsbezogenen Sphären etwas verblassen.

Dabei scheint weniger dieser Umstand problematisch zu sein als die Tatsache, daß die meisten österreichischen Zeitungsunternehmer wie -dienstnehmer nach den Ergebnissen der Studie „Inf ormatisierung am Beispiel Print“ ITS als bloße Modernisierung im Rahmen herkömmlicher Produktionsweise verstehen und damit das - durchaus gestaltbare - Veränderungspotential der Informationstechnologie verkennen.

Der Autor, Sekretär der Gewerkschaftlichen Arbeitsgemeinschaft Publizistik und Medien, Lektor am Institut für Publizistik der Universität Wien, war Projektleiter des genannten Forschungsprojektes.

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