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Die Zeit drängt - Halley in Florenz

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Das literarische Programm des Jahres 1984 sollte im Verlag Styria fixiert werden, aber noch zögerte ein Autor mit seiner Zusa- ge. In Frage stand der Roman „Albino". Der Verlag war schon einige Zeit lang mit dem Chefre- dakteur der Kulturzeitschriften „Morgen" und „Pannonia" nicht nur bekannt, er suchte dessen Rat, und er gab ihn gerne: Franz Parak müsse ediert, ausgewählte Essays von Helmut A. Fiechtner sollten in das Programm aufgenommen wer- den, ein neues Literaturlexikon sei zu planen.

Sebestyen konnte insistent sein. Wenn er einem Vorschlag Nach- druck verleihen wollte, neigte er charmant ein klein wenig den schmalen Kopf zur Seite, als wolle er dem Gesprächspartner gleich- sam unter die Augenlider sehen, um den vorgelegten Gedanken dessen Gehirn zu inplantieren. Seit seinem FURCHE-Engagementwar er der Styria nähergekommen. Der Verlag seinerseits hatte Mitte der siebziger Jahre mit Jeannie Ebner und Hans Weigel entschieden ein literarisches Programm eröffnet, das er organisch zu erweitern such- te, und so war es naheliegend, György Sebestyen zu fragen, ob er nicht nur für andere, sondern auch für sich selbst - und in das Pro- gramm - eintreten wolle. So trafen sich die Linien.

„Wir müßten uns dann", schreibt er bald darauf, das bange Warten auf die Zustimmung zum Vertrags- abschluß beendend, „über weitere Pläne unterhalten, denn ich habe vor, fleißig zu sein. Groß ist die Zahl der Pläne, die noch verwirk- licht werden müssen, und die Zeit drängt." Er wolle nun zum Anfang zurückkehren und das Schwerge- wicht von der essayistisch-journa- listischen und kulturpolitischen Arbeit, die ihn nichtsdestoweniger immer begleitete, auf das Schrei- ben legen.

Und die Zeit drängte wirklich, heute wissen wir es. Pläne waren tatsächlich in Fülle da: eine Neu- auflage des „Thennberg", ein „Liebesroman älterer Menschen", zwei Satiren „Die letzte Verschwö- rung der Europäer in einer von Asiaten beherrschten Welt" und „Die Geschichte eines Schweizers mit Hitler und Mussolini" - die Geschichte eines Fahnenfabrikan- ten, der nicht nur seine Ware er- zeugt, sondern auch die Anlässe zum Fahnenschwingen. Und vor allem der „große" Roman: „Jahre der Sehnsucht" hieß er in einer frühen Notiz, der schließlich 1986 unter dem Titel „Die Werke der Einsamkeit" erschien und der lite- rarischen Welt den Autor, der seit Ende der sechziger Jahre außer dem erwähnten „Albino" keinen Roman veröffentlicht hatte, nachdrücklich ins Gedächtnis rückte.

Eine Fortsetzung der „Werke" war geplant: „Halley in Florenz", später sollte diese Rolle „ Wirth und seine Zeit. Lexikon eines Lebens" übernehmen. Bis zum Ende arbei- tete er - tapfer - an diesem Projekt, es blieb Fragment. Ein „Rausch- buch" geistert durch die Notizen, „Donauessays", ein Sachbuch über „Erosund Poetik".

Das literarische Werk György Sebestyens wurde wiederholt in seinem Rang kompetent gewürdigt (auch wenn die „Frankfurter All- gemeine" seine „Erzählungen" in der Rubrik „aus slawischen und anderen Sprachen" ankündigte und die „Kölnische Rundschau" noch 1986 anläßlich einer Lesung des Autors verwundert feststellte: „Man glaubt, man kenne sie, zumindest die wichtigsten Dichter des Nach- barlandes Österreichs, die Art- manns, Bernhards... et cetera), die prophetische Rolle dieses „panno- nischen Wanderers zwischen zwei Welten" (Otto F. Beer), der die Öff- nung zum mitteleuropäischen Osten predigte und praktizierte, lange bevor sie zur Pflichtübung wurde, anerkannt.

Gewiß noch nicht ausreichend untersucht ist die Mittlerrolle für seine Wahlheimat selbst. Ironisch sprach er einmal von der „Tschu- schenriege der Zugereisten", die der österreichischen Literatur neue Farbtupfer gegeben habe. Die so- eben im Styria Verlag erschienene Monographie von Helga Blaschek- Hahn bietet alles in allem eine aus- gezeichnete Analyse seines Schaf- fens, die ein hohes Maß von Au- thentizität beanspruchen darf. Sebestyen hätte sie zu seinem Sech- ziger, am 30.Oktober, entgegenneh- men sollen.

Jeder Autor erhält vom Verlag lang vor Erscheinen seines Werkes einen Fragebogen, in dem er der Werbeabteilung, die das Manu- skript zur Zeit der Vorbereitung der Anzeigen und Prospekte noch nicht kennt, Auskunft über dessen Art und Inhalt geben soll. Eine dieser Fragen lautet banal: „Wer wird das Buch kaufen?" Im Blick auf „Die Werke der Einsamkeit" antwortete Sebestyen zunächst lakonisch: „Leser, die sich für epi- sche Werke der Gegenwart interes- sieren" und fügte dann in den fol- genden Zeilen einige Formulierun- gen hinzu. „Wer wird das Buch kaufen? - Leser, die die Selbstzer- störung der Literatur und deren Formzerfall als langweilig emp- finden. - Leser, die aus der gegen- wärtigen geistigen und moralischen Krise einen Ausweg suchen. - Le- ser, die für die metaphysische Be- dingtheit der Wirklichkeit einen Sinn haben." In dieser, in der letz- ten Antwort lag sein Kern, in dieser Antwort liegt sein Auftrag.

Der Autor ist Verlagsdirektor des Styria-Ver- lages.

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