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Dunkle Geschäfte

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Im Verlaufe seines 28jährigen Bestandes zeigte sich das-Bourguibaregime stets bemüht, Sündenböcke für das eigene Versagen zu finden. Damit sollte der Staats- und Parteiführer persönlich aus den flagranten politischen Rückschlägen herausgehalten werden.

Dieses Bemühen war erkennbar, als der links-extreme Wirtschaftsmanager Ahmed Ben Sa-lah 1970 prozessiert und gefeuert wurde, als der Gewerkschaftsboß Habib Achour mitsamt seines Stabes 1978 ins Kittchen wanderte und als Innenminister Driss Gui-ga nach der Brotrevolte vom Jänner 1984 durch die Hintertüre in die französische, bundesdeutsche beziehungsweise amerikanische Emigration verschwand.

Der hochgewachsene, im römischen Prätorenstil profilierte Politiker flog in Begleitung seiner sehr zahlreichen Familie nächst den Ruinen von Karthago ab: als schwerreicher Mann mit mannigfaltigen Auslandsguthaben und vielen Koffern. Zwei von ihnen enthielten viele Kilogramm schwere, für das Tuniser Regime kompromittierende Dokumente.

Driss Guiga wolle sie „platzen lassen", sobald die M'Zali-

Regierung — der er angehörte, die er aber angeblich stürzen wollte — ihm zu Leib rücken und zum viertgrößten Sündenbock der regierenden sozialistischen Destour Partei machen will. Guiga war einer ihrer Männer der ersten Stunde und stand im Verlauf der jüngsten Palastintrigen um die Bourguiba-Erbfolge im Lager der Präsidentin Wassila. Beiden gegenüber behielt — einstweilen — ihr Gegner, Premier M'Zali, die Oberhand.

M'Zali übernahm das Innenministerium, „räumte" dort mächtig auf, und rüstet nun für den Prozeß, den der Amtsvorgänger und Widersacher, Driss Guiga, sehr wohl als einen gegen seine Person gerichteten vorweggenommen hatte. Im Handumdrehen wurde eine Untersuchungskommission aus der Taufe gehoben und eine 59-Manngruppe zusammengestellt. Alle sind sie bereit, um im Sinne der Anklageabsicht mitzuspielen.

Zur Märzmitte hatten Gerichtspräsident, Staatsanwalt, Richter und Zeugen ihr Werk vollendet. Aus der Gastlichkeit einer saudiarabischen Traumvilla im sonnigen Florida ließ der ins Visier Genommene wissen, daß er diesem Schauprozeß nicht beiwohnen, gegen dessen Regisseure jedoch aus seinen Dossiers die Skandalpuppen tanzen lassen werde. Noch im April sollte das Spektakel beginnen.

Einzelheiten aus dem Kommissionsbericht sind immerhin durchgesickert. Man argwöhnt jedenfalls, daß die öffentlich gewaschene „schmutzige Wäsche" das Ansehen des Regimes zu bespritzen droht.

Muß man sich dabei nicht fragen: Wo war die Obrigkeit, wo war die Legalität, wo war die Kontrolle, wenn der Führungsstab des Innenministeriums, der Abwehr, der Kriminalpolizei, des Rauschgiftdezernates, der Sittenpolizei und der Devisenstelle bei den „oberen Zehntausend" Jahre hindurch Delikte durchgehen ließ, für die der „kleine Mann" auf mehrere Lebzeiten eingesperrt worden wäre?

Dunkle Geschäfte und Mißbräuche der Amtsgewalt garnieren dieses unappetitliche Menü, wobei die ansonsten fatale Bürokratie für die „Bosse" ausnahmslos blitzschnell funktionierte.

Wird der Fall Driss Guiga zur Staatsaffäre Tunesiens hochstilisiert, dann droht sie zum Prozeß gegen die Einheitspartei und gegen deren Regime zu entarten. All das wäre nur Wasser auf die Mühlen der islamischen Integrali-sten. Sie sitzen zur Zeit in den tiefsten und übelsten Kerkern des Landes und behaupten schon die längste Zeit, daß die Stunde eines Umschwunges immer lauter schlägt: allenfalls auch eines gewaltsamen, da der am Ruder befindliche M'Zali ansonsten nicht zum Wegtritt bewogen werden könne.

M'Zali ist der Mann der Brotpreiserhöhung von 110 Prozent zu Jahresbeginn, Verursacher des Protest-Blutbades um die Jahreswende und Vater des darauffolgenden scharfen Polizeieingriffs bis hinein in die Mittelschulen, wo aufmüpfige Studenten bei strömendem Regen und eisigem Wind stundenlang in ihren Höfen knie-en mußten.

Die Unter-Zwanzigjährigen machen etwa 60 Prozent der bald sieben Millionen zählenden Bevölkerung Tunesiens aus. Sie hat sich infolge der unkontrollierten demographischen Explosion im Verlauf der Republikzeit verdoppelt. Die Jugendlichen sind meistens ungeschult, durch Arbeitgeberwillkür und Ausbeutung frustriert, durch die Wohnungsmisere auf die Straße in die Cafes und in brutalste Wildwest- beziehungsweise Schlägerkinos verbannt. Diese Jugend weiß oft mit sich selber nichts anzufangen.

Für diese emporgeschossene „No Future"-Generation gibt es keine Autorität, keine Moral und auch keine Disziplin. Ihr Zynismus wird sich daran weiden, wenn der Guiga-Prozeß das Winkelwerk von Regimeschwächen aller Art ausleuchtet. „Da habt Ihr Euren Staat" — wird es heißen. Mit einem Mal werden die Chaoten dann islamisch-religiös, wenn sie — durch die Fundamentalisten angefeuert — als Mitvollzieher des gegen die Gesellschaftsordnung gepredigten Jüngsten Gerichtes agieren...

Arbeitslosigkeit, Behördenwillkür, Vetternwirtschaft, Bürokratie, Desinformation, Wirtschaftskrise und Verunsicherung können aber auch Steigbügelhalter für Ghaddafi werden, dessen Schatten immer drohender am tunesischen Horizont aufziehen. Die jüngste Verurteilung dreier libyscher Spione — zwei von ihnen wurden gehängt, der dritte floh — zeigt den Ernst der Stunde an.

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