7169232-1982_39_15.jpg
Digital In Arbeit

Ein Universalist

Werbung
Werbung
Werbung

Rudolf II., ein Philosoph auf dem Kaiserthron, gehört zu den faszinierendsten Herrscherpersönlichkeiten Europas in der Neuzeit. Seine tragische Ära beschließt das universale Weltbild eines lateinischen Humanismus. Er scheiterte als Mensch und Herrscher in dem Bemühen, die dahinschwindende alte Harmonie vor, dem konfessionellen Extremismus und der intellektuellen Revolution des Rationalismus zu bewahren.

Uns ist das Bild Kaiser Rudolfs II. eher aus Grillparzers Bruderzwist als aus der wissenschaftlichen Literatur vertraut. Tatsächlich ist die historische Forschung seiner Persönlichkeit bisher nur wenig näher gekommen. Rudolf selbst hat kaum Schriftliches hinterlassen — ein quellenmäßig belegtes biographisches Werk steht daher noch aus.

Der Oxforder Historiker Robert John Weston Evans hat nunmehr in seinem anspruchsvollen Werk über Rudolf versucht, dem Kaiser von der Atmosphäre an seinem Prager Hof her näherzukommen. Dieses Vorhaben ist durchaus gelungen. Der Autor behandelt neben den politischen Aspekten in besonderem Maße die religiöse, gesellschaftliche und kulturelle Situation in Böhmen, vor allem finden hiebei die schönen und die okkulten Künste eingehende Beachtung.

Das Strebennach geistiger-po-litischer wie konfessioneller — Universalität charakterisierte das geistige Klima des Kaiserhofes in Prag bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Rudolf selbst war von der traditionellen Lehre der Kosmologie geprägt, einer Vorstellung von einem göttlichen System, das auch den Menschen miteinschließt und in dem alle Zweige der Wissenschaft fest in einer kosmischen Hierarchie verankert sind.

Es war die Lehre von der Einheit in der Vielheit, nach der jeder einzelne etwas vom Ganzen in sich hatte und jedem Ding ein fester Platz in diesem Schema zukam. Die pansophische Freude am Systematisieren schlug sich in einer leidenschaftlichen Sammlertätigkeit nieder.

Die Antithese zwischen einer Beobachtung der Oberfläche - die exakte' Erforschung der Natur war eine Lieblingsbeschäftigung dieser Zeit — und dem Wissen um eine verborgene Realität versuchte man durch Magie und Okkultismus zu lösen.

Das Streben nach Universalität kam auch in der irenischen Versöhnungspolitik Rudolfs in der Spannung zwischen den Konfessionen zum Ausdruck. Nach der Jahrhundertwende gewann die römische Gegenreformation, deren Ziel die kompromißlose Ausrottung der Häresie war, immer mehr an Boden. Sie führte zum Zerfall der politischen Harmonie und damit zum ersten gesamteuropäischen Krieg. Dem Kaiser gelang es nicht, der aufflammenden Toleranz entgegenzutreten.

Besondere Beachtung wurde vom Autor den Kunstströmungen der Spätrenaissance und dem esoterischen Kreis namhafter Hofmaler europäischen Ranges geschenkt. Faszinierend liest sich der Abschnitt „Prager Manierismus und das magische Universum”, der eine geradezu enzyklopädische Darstellung der am Prager Hof gepflogenen und geförderten Geheimwissenschaften, Alchemie, Hermetik, Kabbala und ähnliches auf Grund der zeitgenössischen Literatur enthält.

Evans gelang es auf Grund eingehender Forschungen, die zum großen Teil auch in tschechischen Archiven und Bibliotheken betrieben wurden, ein bis in kleine Details nachempfundenes Bild des rudolfinischen Hofes zu geben.

Die ungeheure Fülle von biographischen und literarhistorischen Angaben verdient volle Bewunderung. Den österreichischen Leser hätte ein noch etwas detaillierter Hinweis auf Rudolfs Sammeltätigkeit interessiert, vor allem darauf, ob beziehungsweise welche Kunstgegenstände der Wiener Sammlungen der Sammlerfreude Kaiser Rudolfs zu danken sind. Auch hätte eine Anzahl von Porträts das Buch reicher gemacht.

Man legt die interessante — aber nicht immer einfach zu lesende — Kaiserbiographie mit vielen Anregungen bereichert aus der Hand.

Der Autor ist Professor für Kirchenrecht an der Universität Innsbruck. RUDOLF II. Ohnmacht und Einsamkeit. Von Robert John Weston Evans. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln, 252 Seiten, Ln., öS 298,-.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung