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Ein volles Jahrtausend

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„Auch wenn der Prager Bischofsstuhl künftig unbesetzt bleiben sollte, werden unsere geistigen Väter nicht umsonst gearbeitet haben“ — erklärte Karl Fürst Schwarzenberg in einem Referat, das sich mit den Prager Erzbischöfen der letzten hundert Jahre befaßte. Eingebettet war Schwarzenbergs Vortrag im dritten Kulturkongreß der Ackermann-Gemeinde, der im Hinblick auf das im kommenden Jahr zu begehende Jubiläum des tausendjährigen Bestehens der Diözese Prag abgehalten wurde.

Die drei wissenschaftlichen Tagungen hatte man jeweils in deutsche Bischofsstädte verlegt, die mit Prag in besonderen Beziehungen standen, nach Würzburg (1970), Regensburg (1971) und schließlich nach Mainz (3. bis 5. November 1972). Hier führte man die Thematik bis zur Gegenwart, hier mußte man allerdings auch des letzten Referenten der letzten Tagung, des inzwischen verstorbenen Wiener Universitätsprofessors Dr. Hugo Hantsch gedenken, der damals das vielbeachtete Schlußreferat gehalten hatte.

Die geistige Landschaft der Erzdi-

özese Prag und Böhmens zwischen dem Zerfall des Heiligen Reiches und dem Werden der tschechischen Eigenstaatlichkeit, also des Jahrhunderts zwischen 1806 und 1918, zeichnete Dr. Rudolf Mattausch (Königstein). Ausgehend vom „prachtvollen Wirrkopf“ Herder und dem Nationalismus, der in all seiner Widersprüchlichkeit das 19. Jahrhundert und Teile des 20. beherrschte, zeigte er auf, wie die Aufklärung gerade in diesem Land mit seiner starken kirchenreforma-torischen Tradition starke Wurzeln fassen konnte. Mattausch spannte seinen Bogen bis hin zur jungen Christlichsozialen Bewegung, die sich unmittelbar vor dem Ausbruch des Weltkrieges anschickte, nationalistische Gedanken zu überwinden. Der aus Böhmen stammende

Saarbrückener Universitätsprofessor Dr. Friedrich Prinz befaßte sich mit „Kirche und soziale Frage im 19. und 20. Jahrhundert“. Er zeigte auf, daß für den ganzen österreichischen Bereich im Böhmen die Industrialisierung am frühesten einsetzte und am intensivsten durchgeführt wurde. Demgemäß zeigte hier auch der Manchester-Liberalismus seine ersten und krassesten Auswüchse. Soziale Initiativen der Kirche stießen nur allzu oft auf ein Veto der Regierung, wobei das Konkordat auch auf diesem Gebiet zu einer Erleichterung führte. Univ.-Prof. Prinz unterstrich auch alle jene Initiativen, die Männer des böhmischen Raumes in Wien entfalteten, etwa Prälat Schindler, Ambros Opitz und Leopold Kunschak. Der tschechische Ko-Referent Dr. Vladimir Neuwirth verwies vor allem darauf, wie nationale und staatsrechtliche Probleme und antikirchliche Affekte viel Energien verbrauchten, die man im sozialen Bereich dringend benötigt hätte.

Karl Fürst Schwarzenberg (Wien) charakterisierte die letzten adeligen und die bürgerlichen Erzbischöfe Prags, beginnend mit seinem Großonkel, dem Kardinal Schwarzenberg, bis zu dem jüngst verstorbenen Kardinal Beran. Schlüsselfiguren bildeten neben Schwarzenberg, dem Haupt der Opposition gegen das Unfehlbarkeitsdogma, der erste bürgerliche Prager Erzbischof Kordac; der gelehrte und hochgebildete Erzbischof war in einer gefährlichen Zeit der geeignete Gegenspieler der kleinbürgerlich-anitikirchlichen Gruppe um den ersten Staatspräsidenten Masaryk.

In einem mit einer Fülle von Details versehenen Referat erhellte Prof. Dr. P. Augustinus Huber (Tepl/Königstein) die Beziehungen zwischen Mainz, diesem „Knotenpunkt im geistlich-weltlichen Gefüge des Reiches“, und seinem Suffragan-bistum Prag im Mittelalter. Besonders eindrucksvoll war dabei die Darstellung der Situation des zweiten Bischofs von Prag, des heiligen Adalbert, aber auch der späteren Zeit, als der Erzbischof von Mainz und der Böhmenkönig zu den führenden Männern des Reiches zählten.

In einem abschließenden Podiumgespräch, das der wissenschaftliche Direktor Dr. Nittner leitete, wurde herausgestellt, daß das Thema „Tausend Jahre Prager Erzdiözese“ stellvertretend für zwei Problemkreise stehe, das der Beziehungen von Deutschen und Tschechen und des Verhältnisses von Kirche und Gesellschaft. Wenn der tschechische Historiker Seaton Watson, der Vater des großen Benes-Freundes, erklärt, Mitteleuropa sei zerstört und nicht mehr vorhanden, so gehe es heute darum, bereit zu sein, dieses Mitteleuropa neu zu bauen.

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